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Ensemble PALLA

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Vom Streben nach der
verlorenen Vollkommenheit

Wie sich das Streben des Menschen nach Vollkommenheit in der Kunst seinen Ausdruck sucht, präsentierte der Bad Endorfer Regisseur Toni Müller mit dem Kölner Ensemble PALLA am 16.4.1999 in der Schloßkapelle Hartmannsberg bei Hemhof. In Sprache, Musik und Bild gelang ein eindrucksvolles Gesamtkunstwerk aus Elementen einer Kammeroper, an der Toni Müller mit dem Kölner Komponisten Dietmar Bonnen seit zwei Jahren arbeitet.

Wie das Ensemble trägt die Oper den Titel »Palla« und verweist damit auf die philosophische Grundlegung des Projekts: Platons Erklärung des menschlichen Strebens mit seinem Bild des Kugelmenschen im »Symposion«. Demnach waren die Geschlechter ursprünglich in einer Kugel miteinander vereint. Doch in dieser vollkommenen, runden Form waren sie den Göttern schnell zu mächtig und wurden geteilt. Das menschliche Streben nach dieser verlorenen Vollkommenheit und die Anziehungskraft der Geschlechter war geboren.

Dieser Versuch, zwei Pole miteinander zu vereinen, wurde gleichsam zum Strukturprinzip der künstlerischen Darbietungen des Abends. So zeigten die im Raum zentral plazierten Skulpturen von Bernhard Kucken Menschen, die ineinander verschlungen nach oben streben. So kombinierte Bonnen im einleitenden musikalischen Beitrag »Sonnekus2« religiöse Lieder von John Cage mit Cabaret-Chansons von Erik Satie, die den sakralen Charakter durch dynamische und expressive Elemente brachen.






Inwieweit die im Raum inszenierten Liedkompositionen und literarischen Texte vor allem Assoziationen im Zuschauer erregen sollten, formulierte Toni Müller in seinen Beckett-Rezitationen: "Warum man ein Bild liebt, kann man nur erfahren, wenn man taub wird und alle Weisheit vergißt." Im Genuß und nicht im bildungsbürgerlichen Entschlüsseln bestimmter Inhalte liege der Sinn der Kunst.

Toni Müllers Inszenierung wurde diesem Anspruch gerecht. In seinem Vortrag von Texten, in denen Maler mit Worten die Wirkungen der Farben einzufangen versuchten, spielte er selbst mit den Klangfarben der Sprache. Raphael Albertis Text »Weiß« wurde synchron spanisch und deutsch vorgetragen. Doch auch die hellen Klänge dieses Textes erfuhren ihren Gegenpol. Dunkel ertönte dazu ein Baritonsaxophon (Lothar Burghaus) mit Bonnens Komposition »Ich lag in tiefer Todesnacht« wie aus einer Gruft aus dem Treppenhaus des Schlosses. Die Architektur und der feierliche Rahmen des Veranstaltungsorts wurde zum eigenen Stilelement. Dem Wechsel höchster Erregung und tiefster Melancholie verliehen auch die Sängerinnen Susanne Hille (Sopran), Consuelo Sanudo (Mezzosopran) und Edina Soriano (Mezzosopran) eindringlich Ausdruck. In Bonnens Kompositionen zu Bildern von unter anderem Goya und Rembrandt interpretierten sie stimmgewaltig die assoziativen Texte des Librettisten Ignaz Knips.

Mit langanhaltendem Applaus würdigte das Publikum einen anspruchsvollen und genußvollen Abend.

Sabine Stecher
20.4.1999 OVB Rosenheim

Düstere Texte über Hummer und eine häßliche Nase

Kein guter Tag für Michelangelo. "Verrenkt, zerfleischt, zerbrochen und zerstört, bin ich", schilderte der große Bildhauer und Maler der Renaissance seine Befindlichkeit gegen Ende seines Lebens. Und weiter: "Das Antlitz eine Fratze des Erschreckens./Die Kleider Fetzen, die die Krähen/Bei jedem Wetter aus dem Saatfeld scheuchen." Auch die abschließende, extrem pessimistische Zeile mochte Toni Müller, Mitglied des ENSEMBLE PALLA, den Zuhörern im Loft nicht ersparen: "Ich bin erledigt, wenn ich nicht bald verrecke."

Am Boden war auch Dietmar Bonnen. Allerdings in ganz wörtlichem Sinne, denn er begleitete auf blankem Parkett sitzend Müllers Rezitation sowie den Vortrag der Sopranistin Susanne Hille, die das Gedicht noch einmal in italienischer Sprache sang. Bonnen spielte dazu eine Organetta, eine Art elektrisch verstärkte Miniorgel aus den 50er Jahren, die er in der Nähe einer Steckdose abgestellt hatte. Der Klang des grünlich-metallenen Instruments klang indes vertraut. "So ahnlich wie eine Melodica, nur daß man nicht reinpusten muss", beschrieb Bonnen, der auch die Musik zu Michelangelos Versen geschrieben hatte, den Effekt.

Das Ensemble hatte sich zusammengetan, um gemeinsam den Abend unter der Überschrift »Passaggio andante« zu gestalten. Gedichte in Sonett- beziehungsweise Madrigalform von Dante Alighieri oder eben Michelangelo Buonarotti wurden dabei teils im italienischen Original, teils in Übersetzung rezitiert oder gesungen. Die Vertonungen stammten von Claudio Monteverdi und eben Dietmar Bonnen. Toni Müller, sieben Jahre lang als Regieassistent an der Kölner Oper tätig, hatte Michelangelos Texte teilweise selbst ins Deutsche übertragen: "Die Verse wurden zwischen seinen Zeichnungen gefunden. Er hatte damals wohl Depressionen wegen einer gescheiterten Liebesbeziehung. Außerdem litt er unter seiner hässlichen Nase."

Bonnens faule Melodica

Ähnlich düsteren Inhalts waren auch die übrigen Texte, für deren Zusammenstellung der vierte im Bunde, Ignaz Knips, zuständig war. Wir haben uns dabei an Walter Benjamins »Passagenwerk« orientiert", erläuterte der Herausgeber der auf die Publikation von Schriften zu Philosophie, Literatur und Musik spezialisierten »édition questions« des Salon-Verlags. "Die Stücke sollten wirken wie Bilder in einem Museumsbau aus der Renaissance. Einige Exponate laden darin zu ruhigem Verweilen ein, doch wird man beispielsweise in den Durchgängen zwischen den Räumen oft mit beunruhigenden Ausstellungsstücken konfrontiert."

Zu den beunruhigenden Teilen des Abends gehörte etwa ein Auszug aus Samuel Becketts Kurzgeschichte »Dante und der Hummer«. Darin erfährt ein gewisser Belaqua, daß Hummer stets lebendig gekocht werden. "Nun ja, dachte Belaqua, es ist ein rascher Tod, Gott helfe uns allen." Becketts Schlußsatz lautet: "Das ist es nicht."

Kölnische Rundschau 7.10.2004
Hans-Willi Hermans