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Michael Rüsenberg – Frank Zappa

Michael Rüsenberg

Das Genie als Spaltpilz – Frank Zappa zum 60.
von Michael Rüsenberg
HR2, 21.12.2000, 9:30–10:00

MR: Einen Kommentator musste man bei der amerikanischen Präsidentenwahl des Jahres 2000 schmerzlich vermissen. Es ist die Stimme des Mannes, dem Wahlen und Wählen geradezu eine Obsession waren. Der sich 1985, als ein gewisser Al Gore Senator von Tennessee war, mit diesem und vor allem mit dessen Gattin Tipper Gore angelegt hat. Damals ging es um die drohende Zensur von Song-Texten. Dieser Mann ist 1993, im ersten Jahr der Vizepräsidentschaft von Al Gore, verstorben. Und man wüsste wirklich allzugerne, was Frank Zappa zu der Tatsache eingefallen wäre, daß Tipper Gore nur knapp 600 Wählerstimmen vom Status einer "first lady" entfernt war. Ganz zu schweigen davon, mit welchem Zähneknirschen ZAPPA die Gores den Bush's – vermutlich – vorgezogen hätte. ALI N ASKIN: Also, der Ruf hat sich schon gewandelt. Ich erinnere mich noch an die 70er Jahre, auch noch Anfang der 80er Jahre, wo er noch in aller Munde war. Er war ein ganz großer Name, der alle möglichen Hörer auch beeinflußt hat. Die Stücke waren bekannt. Die Zitate wurden überall nur so gehört. Und das hat sich gelegt, und er ist mehr jetzt ein anerkannter Komponist geworden, der von vielen, vielen Orchestern in der Welt gespielt wird. Also die Aufführungen z.B. in Amerika von College Bands, die Stücke von Zappa aufführen, ist irrsinnig hoch. Also es hat sich verlagert von dem – wunderbares Wort – sogenannten "Bürgerschreck" hin zum klassischen Komponisten, der auch anerkannt ist von vielen klassischen oder von Musikern aus dem Jazzbereich. Ja, es ist eine ganz starke Änderung. Ich finde es ein bißchen schade, daß er nicht mehr so im Bewußtsein ist. Weil viele Ideen, viele Verfahrensweisen, die er damals zum ersten Mal gemacht hat – man denke nur irgendwie an Videoclips z.B.; die Idee, was er in »200 Motels« gemacht hat: auf Video zu drehen, auf Film umzukopieren – das sind unheimlich viele Sachen, die jetzt gang und gäbe sind. Aber vergessen sind, daß er so mit einer der ersten war, die so gearbeitet haben. MR: Ali N Askin, geboren 1962 in München; niemand in Deutschland kennt die Musik Zappas besser als er. 1992 – bei »The Yellow Shark« – hat Askin ein halbes Dutzend Stücke von ihm arrangiert. In der zweiten Staffel im Jahre 2000 – »Greggery Peccary & Other Persuasions«, wiederum mit dem ENSEMBLE MODERN – stammen sämtliche Arrangements von ihm. Und wir wollen Ali N Askin dankbar sein, daß er den beliebten Begriff des Bürgerschrecks in deutliche Anführungszeichen gesetzt hat. Denn zumal in Deutschland wird Zappa's eigene Standortbestimmung aus dem Jahre 1989 gerne übersehen, die in eine ganz andere Richtung weist. ZITAT ZAPPA: Politisch halte ich mich – bitte nicht lachen – für einen praktischen Konservativen. MR: Ein kleiner Querschnitt für die Beliebtheit des Komponisten Frank Zappa in der heutigen Kammermusik: »The Idiot Bastard Son«, zunächst in der Fassung vom ENSEMBLE AMBROSIUS, dann Dietmar Bonnen und Consuelo SaÑudo aus Köln, sowie Diego Conti und Monica de Matteis aus Italien.

 

 

MR: Die Fantasie der Arrangeure kennt keine Zurückhaltung mehr. Selbst die wildesten Rockmusik-Stücke lassen sich völlig umdrehen – ohne ihren Zappaesken Charakter zu verlieren. Am weitesten geht dabei wohl das ENSEMBLE AMBROSIUS aus Finnland. Es interpretiert Zappa – hier »Echidnas Arf« – auf Barock-Instrumenten. Gefolgt von den Blechbläsern des MERIDIAN ARTS ENSEMBLE aus New York, die 1993 noch die Chance hatten, am Krankenbett des Komponisten ihre Arrangements vorführen zu können.
MR: Das sind die Musiker, welche Frank Zappa wenige Jahre vor seinem Tod als die eigentlichen Erben seiner Musik eingesetzt hat – die Mitglieder des ENSEMBLE MODERN aus Frankfurt. Eine erste Produktion – nämlich »The Yellow Shark« in den Jahren 1992/93 – konnte er noch mit ihnen realisieren. Eine zweite Staffel im Jahre 2000 – »Greggery Peccary & Other Persuasions« – sieben Jahre nach seinem Tod, wurde nun komplett von Ali N Askin arrangiert. Die Programme unterscheiden sich beträchtlich: legt »The Yellow Shark« den Schwerpunkt eher auf den Neue-Musik-Komponisten Zappa, so nimmt das neue Programm sich deutlich seiner rhythmisch forcierten Stücke an. ALI N ASKIN: Das hat verschiedene Gründe. Einerseits wollte man auch so eine Balance finden zwischen den Rock- und Jazz-orientierteren Stücken und den sogenannten Neue-Musik-Stücken, d.h. die Abwechslung sollte schon stärker oder auch klarer sein. Und ich persönlich bin mit dem Programm sehr zufrieden. Also die Ausgewogenheit und auch die Bandbreite von Zappas Sprache zu zeigen, ist hier – glaube ich – viel gelungener. Und das ist der Hauptgrund: ein lebendiges Programm zu schaffen, was sehr viel deutlicher die verschiedenen Einflüsse, die verschiedenen Texturen, zu der der Komponist und Musiker Zappa fähig war, zeigt. MR: Ich sehe andererseits ein Problem: Sie haben ja manches, was er auf Synclavier vorgelegt hat, also in vom timing her absolut stimmigen, elektronischen Fassungen, übersetzt auf ein Ensemble von Musikern, die ja nun – sagen wir mal – dieser Art von rhythmischer Sprache nicht ganz mächtig sind. Das muß man mal klar sagen. Das ENSEMBLE MODERN besteht aus perfekten Notisten. Aber ich kann mir vorstellen, daß sie – und das höre ich –, daß sie mit dieser Art von Rhythmik, die von Zappa selbst ja in definitiven Versionen vorliegt, daß sie damit ihre Schwierigkeiten haben. ALI N ASKIN: Ich habe jetzt die Aufnahmen – wie gesagt – noch nicht gehört, die müßte ich mir auch noch mal zu Gemüte führen. Wir haben ganz klar die Trennung Rhythmus-Sektion und Nicht-Rhythmus-Sektion auch versucht beizubehalten. D.h. sehr viele dieser sogenannten Groove- oder Swing-Elemente liegen in der Rhythmus-Sektion, d.h. beim Schlagzeug-Set, bei Baß und auch Keyboards, vielleicht auch noch die Gitarren. Und ich finde, dass das Ensemble einen sehr guten Job macht dafür, daß hier so extremste stilistische unterschiedliche Verfahrensweisen zusammenkommen. Und ich finde auch, daß es im Lauf der Konzerte immer besser geworden ist. Speziell bei diesen Stücken, die Sie erwähnen, also die Synclavier-Stücke, wo das


Rhythmische sehr, sehr wichtig ist, die Polyrhthmik, dieses Groovende. Das ist sehr, sehr schwer zu realisieren, muß man sagen, speziell dieses Stück »Put a Motor in yourself«. Das muß z.B. auf einem elektronischen Drumset gespielt werden, weil man das sonst gar nicht anders realisieren kann. Und ich bin da eigentlich ganz zufrieden, wie das realisiert wird mittlerweile. MR: »Nightschool«, eine jener Kompositionen Frank Zappas, die zunächst in einer Synclavier-, also rein elektronischen Fassung vorlagen, und welche nun Ali N Askin für das ENSEMBLE MODERN arrangiert hat. ALI N ASKIN: Ja, das ist immer das große Thema von ihm auch gewesen: warum er das Synclavier hat und das auch so liebte, weil er einfach Musik machen konnte ohne den menschlichen Zwischenfilter. Ich finde diese Umsetzung sehr spannend, und legitimiert ist das natürlich auch durch seine Arbeit. Ich finde das ganz spannend, was dann zu Tage kommt. Also, wenn man von der Maschine weggeht – was ist dann die Substanz der Musik? Und trotz der Fehler und trotz der schwierigen Umsetzung kommt dann doch immer wieder etwas zu Tage, was ich sehr schön und sehr interesssant finde. Und das klingt anders als vom Synclavier gespielt. Und das ist Legitimation genug, finde ich. MR: Stücke vom Synclavier aufs ENSEMBLE MODERN zu transferieren, – man muß wirklich sagen, es ist ja fast mehr als ein Arrangment – könnte ja auch bedeuten einen Widerspruch zu einem zentralen ästhetischen Glaubensbekenntnis von Frank Zappa, das da lautet: music comes from composers – not musicians. Die Musik wird von Komponisten gemacht – nicht von Musikern. Und das Handwerkszeug des Musikers ist das Synclavier, es ist nicht das ENSEMBLE MODERN; also irgendwie widerspricht er sich selber. ALI N ASKIN: Er widerspricht sich selber. Es ist natürlich auch einer seiner typischen Sprüche, die immer den Kern der Provokation mit sich tragen, und im Hinblick auch darauf muß man es sehen, daß er immer wieder Probleme hatte mit den Musikern in seiner Band, die beanspruchten, auch Mit-Komponisten zu sein. Und ich glaube, das ist auch der Hintergrund zu diesem Spruch. D.h. es gab einige ehemalige Mitmusiker der MOTHERS OF INVENTION, die gegen ihn geklagt haben und Mit-Komponistentum beanspruchten von einigen Stücken. Und daher kommt das, glaube ich. Aber, es hat auch klar gezeigt, wie wichtig die Musiker sind für ihn und wie stark die Leute, mit denen er arbeitet, wie stark sie ihn beeinflussen, indem was er erfindet. Also, ein Terry Bozzio, der »Black Page« spielt, das sind Begriffe und ein Name, die sind verbunden. Auch wenn man sich die MOTHERS anschaut von damals. Viele Erfindungen, viele Ideen kommen von den Musikern. Ein Ian Underwood war ganz wichtig für Zappa. Und das ist ganz klar ein Musiker. Letztenendes, klar, viele Ideen kommen von ihm und sind seine Ideen, aber ohne die ausführenden Leute und ohne das Synclavier wären sie nicht zu hören gewesen. Also, es ist ein widersprüchlicher Satz, den man vielleicht auch im Hinblick auf diese geschichtliche Situation lesen muß.* MR: Und hier spielt Terry Bozzio. Und er spielt eine der rhythmisch komplexesten Zappa-Kompositionen, das berühmte »The Black Page«. Und zwar in der Ur-Version aus dem Dezember 1976. ALI N ASKIN: Ich muß in diesem Zusammenhang den Begriff "Ur-Version" – haben Sie gesagt, nicht? – Ur-Version bei Zappa in ganz große Anführungszeichen setzen. Weil – das habe ich gesehen in den Jahren der Zusammenarbeit mit ihm:

eine Ur-Version ist bei ihm niemals etwas, was man von herkömmlichen, konventionellen klassischen Komponisten her kennt. Für ihn gibt es nur ein Ur-Material, das immer wieder in neuen Zusammensetzungen oder neuen Bearbeitungen, neuen Versionen existiert, existieren kann. D.h. es gibt keine Urtext-Ausgabe vom Verlag Henle, und das ist es dann, und das ist das Stück, das Werk. Sondern es gibt ein Material, das immer wieder in Frage gestellt wird, immer wieder neu bearbeitet wird und immer wieder in neuen Gestalten auftaucht. D.h. von »Black Page« gibt es 3, 4, 5 Versionen auf seinen Platten. Und wir haben natürlich jetzt erst mal die bekannteste genommen, die auf dem New York-Album, und ich habe versucht, das in diesem Geiste zu arrangieren, weil es einfach meine Lieblings-Version von dem Stück ist. Und obwohl da jetzt nur 2 Perkussionisten auf der Live-Aufnahme mitspielen, gibt's da unzählige Overdubs. D.h. es sind mehr als 10 Leute, die da gleichzeitig spielen. Und das war dann letztenendes auch die Idee, warum wir das mit 5 Leuten spielen im Ensemble. So haben wir 3 Perkussionisten, die dann wiederum ergänzt werden von 2 Extraspielern, die Röhrenglocken und große Trommel bedienen. Und das war natürlich Vorbild, ganz klar. »Black Page«, die Aufnahme ist ein Vorbild. Und auch die Wucht und die Kraft, die die Live-Version der Rockband auf dieser Aufnahme hat, war ein Vorbild, war ein Ideal, was ich auch gerne mit dem Ensemble so erreichen wollte.-MR: Im Gegensatz zu diesen spontan geäußerten Impressionen müßte eine fundierte Kritik an der Musik Zappas sicher anders vorgehen. Das ist inzwischen hinreichend der Fall, Frank Zappa ist zu einem Lieblingssujet etlicher Musikwissenschaftler avanciert. Eine der jüngsten Veröffentlichungen stammt von dem Amerikaner Jonathan W. Bernhard, »Listening to Zappa«. Eine von Bernhards Thesen eignet sich insbesondere, Ali N Askin vorgelegt zu werden, weil dieser neben Zappa für das ENSEMBLE MODERN auch einen weiteren Komponisten mit genre-übergreifender Ästhetik betreut, nämlich Heiner Goebbels. ZITAT BERNHARD: Auch die "avanciertesten" Stücke Zappas für akustische Konzert-Ensembles – und darunter wollen wir verstehen: diejenigen mit dem höchsten Anteil an Dissonanz und den geringsten Anspielungen an Tonalität – auch diese Kompositionen sind vergleichsweise konservativ, jedenfalls gemessen am Zeitpunkt ihres Entstehens. Dies ist keineswegs als Abwertung von Zappas eigener Art von "Fusionen" zu verstehen, sondern soll lediglich betonen, daß er als Komponist zwar eine originelle Stimme besitzt, aber sich in einer Spache artikuliert, deren Elemente uns keineswegs unvertraut sind. ALI N ASKIN: Zappa war im Hinblick auf das Schreiben für klassische Musiker sehr konservativ. D.h. der Stand orchestrationsmässig und auch von den Texturen her hat kaum den Varese-Level eigentlich verlassen. Es gibt von ihm keine Stücke, wo eben ein Sampler benutzt wird, oder auch die Überlegung, das Synclavier mit dem Orchester zu kombinieren – sowas gibt's eigentlich bei ihm nicht. Er ist eigentlich viel radikaler mit den reinen Synclavier-Stücken. Das ist richtig.

Michael Rüsenberg

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