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Ernst Gaida-Hartmann – Ach, du fröhliche …

Ach, du fröhliche

Leise rieselt der Schnee

um 1900; T&M: Eduard Ebel (1839 - 1905)

Ihr Kinderlein, kommet

1798 T: Christoph von Schmidt (1768 - 1854);
1794 M: Johann Abraham Peter Schulz
(1747 - 1800)

Eine Muh, eine Mäh

T: W. Alfredo; M: W. Lindemann

Still, still, still

T&M: um 1800, trad.

Morgen, Kinder, wird's was geben

1809 T: Philipp von Bartsch (1770 - 1883);
M: Berliner Volksweise (Carl Gottlieb Hering)

Morgen kommt der Weihnachtsmann

T: Hilger Schallehn (urspr. Von Fallersleben);
M: Alexandre Dezède (1740 - 1792)

Kling, Glöckchen, klingelingeling

T: Karl Enslin (1814 - 1875); M: trad.

Süßer die Glocken nie klingen

T: Friedr. Wilh. Kritzinger (1816 - 1890); M: trad.

Jingle Bells

T&M: James Pierpont (1822-1893)

Zu Bethlehem geboren

1635 T: Friedrich von Spee (1591-1635)
M: Paris 1599 / Kölner Psalter 1638

O du fröhliche

1819 T: Johannes Daniel Falk (1768 - 1826);
1788 M: Gottfried Herder (1744 - 1803)

Morgen, Kinder, wird's nichts geben

T: Erich Kästner (1899 - 1974)
(Weihnachtslied, chemisch gereinigt)
M: Berliner Volksweise (Carl Gottlieb Hering) 

Edina Soriano   Gesang
Dietmar Bonnen   Gesang
Ernst Gaida-Hartmann   Instrumente, Gesang (Jingle Bells)

Bearbeitungen, Aufnahme: Gaida-Hartmann
Mix: Gaida-Hartmann/Bonnen
Ochs und Esel: Bernhard Kucken
Spekulatius: Gaida-Hartmann
Coverfoto: Grohs
Layout: Bonnen
Satz: Voigt

September. Es ist wieder soweit. In den Geschäften gibt es endlich wieder Spekulatius, Printen, Nüsse und andere Köstlichkeiten, die ans bevorstehende Weihnachtsfest gemahnen. Man kann nie früh genug vorbereitet sein!
Oktober. In den Fernsehprogrammen verdichtet sich das Aufkommen von Werbung für Spielzeug, Parfüm, praktische Haushaltsgeräte und geistige Getränke. Hie und da lugt dabei auch schon mal ein Weihnachtsmann um die Ecke. Freut euch nicht zu früh, denn ich bin schon auf dem Weg!
November. Früher erst pünktlich zum ersten Advent, versetzen uns heutzutage süß gewandete, vorzugsweise von Kinderchören, weichen Solostimmen, schwelgenden Streichern und betörenden Blockflöten intonierte Weihnachtslieder (teils mit äußerst dezentem Rhythmus unterlegt) bereits in den kritischen Tagen vorher in die erforderliche Stimmung. Warum wird oft schon im November das Weihnachtsgeld überwiesen?
Dezember. Die Tage werden kürzer, nicht nur, was das Sonnenlicht angeht, nein, die Entscheidung steht bevor. Die Kaufentscheidung! Währenddessen setzt all das, was sich September, Oktober und November leise in unser Unbewußtsein geschlichen hat, zusammen zu einem großen, übermächtigen, unentrinnbaren Ganzen: »Ach, du fröhliche...«
Wehe der Verkäuferin, die es - aus welchen Gründen auch immer - vergaß, die Kassette mit der Weihnachtsberieselung umzudrehen! Die Kundschaft darf unter gar keinen Umständen aus dieser Stimmung gerissen werden, denn dazu sind sie doch da, unsere Weihnachtslieder, oder?
Mit Sicherheit hatte kein einziger der Komponisten von Weihnachtsliedern die verkaufsfördernde Wirkung seines Werkes im Blick; im Gegenteil bin ich davon überzeugt, daß es ihnen darauf ankam, etwas von der Weihnachtsgeschichte zu vermitteln. Und mit Hilfe ihrer Musik konnten sie andere Menschen leicht erreichen, denn diese Lieder sprachen für sich. Jeder, dem die Lieder gefielen, konnte sie singen, spielen, tanzen oder vor sich hinflöten. Sie wurden auf Klavieren, Gitarren, Lauten, Orgeln, Violinen und jedem denkbaren anderen Instrument gespielt.
Diese Lieder besitzen eine Qualität, die sich über Instrumentierung, Transponierung, Aufführungsort und -praxis hinwegsetzt, solange sie frei und unvoreingenommen dargebracht werden.
»... gabenbringende Weihnachtszeit!«
Doch da kommt die Wissenschaft und findet heraus, daß diese Weihnachtslieder eine besonders hochwertige, konsumorientierte Wirkung haben, wenn sie nicht zu leise - aber um Himmels Willen nicht zu laut! - mit weich gesungenen Stimmen oder Chören und Instrumenten, die klanglich der menschlichen Stimme nahe kommen, geschickt frequenzkorrigiert, dem gestreßten Kunden ins Ohr geträufelt werden. Und fortan hört man überall in den Geschäften diese gnadenlos weichgespülten, charakterlosen musikalischen Hüllen, die dereinst unsere Weihnachtslieder waren. Bereits Erich Kästner - der 1999 hundert Jahre alt geworden wäre - mokierte sich über den zu seiner Zeit wohl noch moderaten alljährlichen Konsumrummel und den damit verbundenen reichen Geschenkesegen. Deswegen sei auch sein "Weihnachtslied, chemisch gereinigt" am Ende dieser CD sozusagen als Bonus angefügt.
Ich liebe diese Weihnachtslieder und finde es schlimm, daß ihnen heutzutage eine solche Zweckfunktion zugewiesen wird. Deswegen habe ich mich auch zu diesem Projekt entschlossen. Ich möchte die Lieder musikalisch so kleiden, wie sie mir gefallen und sie bewußt den Arrangements der Supermärkte und Warenhäuser entgegenstellen, denn sie besitzen die Qualität, die sie befähigt, auch in modernen Gewändern zu begeistern. Man darf sie auch ruhig laut hören!
Mit Absicht beschränke ich mich auf die volksliedhafte Weihnachtsmusik. Bach, Corelli und Manfredini hat's in den Supermärkten auch schon erwischt - aber ich glaube, denen braucht sicher nicht geholfen zu werden.

EGH

• Musikbeispiel: Gaida-Hartmann - "Leise rieselt der Schnee"
Vorweihnachtliches Liedgut und die musikalische Sprache des Pop? Für Supermarkt-Kunden und Warenhaus-Wanderer gewiss kein Problem. Sie kennen dieses Rezept schon seit Jahren. Namentlich in Gestalt engelhaft schwebender synthetischer Streicher und schmeichelnd-betörender Chöre - der Inkarnation also jenes herzergreifenden Weichspüler-Sounds, der übers Ohr die menschliche Seele aufwühlt und einmal im Jahr gern tief ins Portemonnaie greifen lässt. Jene erfolgverheißende Kombination aus Sentiment und Konsum war es in unserem Fall, die den Kölner Musiker und Komponisten Ernst-Gaida Hartmann animierte, die traulichen Songs noch weiteres Mal zu bearbeiten. Allerdings weniger unter dem Aspekt des Verkaufs, sondern vielmehr zum Zweck einer musikalischen Alternative. Das Resultat lässt aufhorchen, zuhören gar. Denn wenn Sänger Dietmar Bonnen seine Stimme erschallen lässt, dann klingt etwas an, was im Konsumrausch der Unterhaltungsmusik in den vielen viel zu leicht konsumierbaren Versionen ganz verloren gegangen ist.

• Musikbeispiel: Gaida-Hartmann - "Zu Bethlehem geboren"
Jesu Geburt und der Rhythmus des Blues? Über die musikalische Form lässt sich im Zweifelsfall streiten - Friedrich von Spee's 1635, als im 30jährigen Kriege geschriebenes Strophenlied, das drei Jahre später im 'Kölner Psalter' erschien, wird in dieser Version jedoch nicht verklärt, sondern falscher Hüllen entkleidet und ins Heute geholt. Nicht, ohne auch inhaltlich auf ein gewisses Reibungsmoment zu verweisen. Denn im Namen des Blues funktioniert das besungene Fest nicht mehr als Gipfel des Kaufrauschs, sondern gibt Anlass, bescheiden zu glauben: in Zeiten der Armut beispielsweise an eine gerechtere Welt. Sozialhistorie zu erwecken, ist jedoch eher ein Nebeneffekt. Ernst Gaida-Hartmann war in erster Linie darauf bedacht, auf musikalische Spurensuche zu gehen. Zwölf historische Lieder der Weihnacht hat er in jahrelanger Arbeit nach ihren Quellen befragt und diese - kitscharm - in verschiedenen Tanzmusik-Sounds revitalisiert. Das musikalische Spektrum der CD, die unter dem Titel "Ach, du fröhliche" beim Kölner Kleinlabel Obst erschien, reicht weit und weist den Arrangeur als versierten, sensiblen Musiker aus, der auch des Humors nicht entbehrt. Unerlässlich deshalb, dass ganz zuletzt, als Bonustrack sozusagen und ein wenig verjazzt, Erich Kästners nicht ganz zahnlose Weihnachtslied-Parodie erklingt, die auf einer alten Berliner Weise beruht.

Frank Kämpfer