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dit & dat – Lunyala Trio

dit & dat – Lunyala Trio

dit & dat – Lunyala Trio

TT: 79’22
DDD, GEMA, c OBST 2015, p Bonnen 2015

Aufnahme: Gagga Deistler
Mix/mastering: Deistler/Bonnen
Design: Arnold Schalks

 

 

 

 

 

 

 

[1] Niet nu (2013) 5'20
Musik: Lunyala Trio Text: Daniil Charms // CS: Stimme LM: Tenorflöte DB: Harmonium

[2] Ich spür ain tier 4´55
Musik/Text: Oswald von Wolkenstein (1376-1445) // CS: Stimme LM: Doppelflöte DB: Steel Drum

[3] Andenken (2013) 6´27
Musik: Lunyala Trio Text: Friedrich Hölderlin (1770-1843) Textfragmentierung: Bonnen // CS: Stimme LM: Bassflöte DB: Präpariertes Klavier, Snare Drum

[4] Totenklage (1988) 1´44
Musik: Manfred Niehaus (1933-2013) Text: Jacob van Hoddis // CS: Stimme LM: Bassflöte DB: Klavier

[5] Mandorla 1 (2014) 3´52
Konzeption: Bonnen Musik: Lunyala Trio // CS: Stimme, Schellen, Rasseln LM: Flöten DB: Water Drum, Resonanzboden, Xylophon

[6] Der VisioNarr (2008) 1'30
Musik: Manfred Niehaus Text: Jacob van Hoddis // CS: Stimme LM: Tenorflöte DB: Klavier

[7] Mandorla 2 (2014) 5'05
Konzeption: Bonnen Musik: Lunyala Trio // CS: Stimme, Schellen, Rasseln LM: Flöten DB: Xylophon, Resonanzboden, Glas

[8] Weltende (1988) 0'42
Musik: Manfred Niehaus Text: Jakob van Hoddis // CS: Stimme LM: Altflöte DB: Klavier

[9] Quis dabit (13. Jh.) 4'25
Musik/Text: Las Huelgas Codex // CS: Stimme, Doira LM: Traversflöte DB: Shruti Box, Gesang

[10] Bläue 8'58
Musik: Lunyala Trio Text: Friedrich Hölderlin Textfragmentierung: Bonnen // CS: Stimme LM: Bassflöte DB: Toy Piano, Glockenspiel

[11] Ofrenda (1986) 7'57
Musik: Mario Lavista // CS: Steine LM: Tenorflöte DB: Steine

[12] Kleines Lied (2013) 1'56
Musik: Manfred Niehaus Text: Daniil Charms // CS: Stimme LM: Tenorflöte DB: Toy Piano

[13] Seikilos-Lied (2. Jh. v. Chr.) 4'50
Musik: trad. Text: Seikilos // CS: Stimme LM: Doppelflöte DB: Glockenspiel

[14] Mandorla 3 (2014) 3'03
Konzeption: Bonnen Musik: Lunyala Trio // DB: CS: Stimme, Schellen, Rasseln LM: Flöten DB: Water Drum

[15] Dream Of A Hit (Frescobaldi) (2009) 3'12
Musik: Manfred Niehaus Text: Oskar Pastior // CS: Stimme LM: Bass-, Tenorflöte DB: Casio, Besteck

[16] Mondgesicht (2013) 2'34
Musik: Lunyala Trio Text: Cora Schmeiser // CS: Stimme, Kaffeemühle LM: Kontrabassflöte DB: Spieluhren

[17] O rubor sanguinis (12. Jh.) 12'43
Musik/Text: Hildegard von Bingen (1098-1179) // CS: Stimme LM: Traversflöte DB: Ambiente, Snare Drum

 

 

 

Lunyala

DIT en DAT LUNYALA TRIO

Cora Schmeiser, Dietmar Bonnen, Lucia Mense

In ihrem Programm »dit en dat« verweben Lucia Mense (Flöten), Cora Schmeiser (Stimme) und Dietmar Bonnen (Tasten und Schlägel) Dadaismus, Neue Zeitgenössische Musik und Mittelalter: aus Sprachkunst wird Musik, Klänge werden zu Poesie. Kurt Schwitters trifft Hildegard von Bingen, Daniil Charms verweilt bei Oswald von Wolkenstein und Scardanelli betrachtet Manfred Niehaus. Gaumensegel, Glottisschläge, Flatterzunge und Daumenkino bewegen und verbinden die Klangfahrt! Dietmar und Lucia aus Köln und Cora aus Rotterdam trafen im November 2012 in der Klangwerkstatt im Kolumba Museum in Köln aufeinander und verbinden seitdem Klänge und Ideen.

 

 

 

 

 

Einige Anmerkungen zu den Stücken:

»Quis dabit« • Huelgas Codex um 1300

Ein Planctus, Klagegesang, zum Gedenken an den Tod der Äbtissin des Frauenklosters Monasterio de Las Huelgas im spanischen Burgos. Die Textunterlegung entspringt den Klageliedern des Jeremias.

Quis dabit capiti meo aquam
et oculis meis fontem lacrimarum
ut plorem die ac nocte
interfectos filie populi mei?

Wer gibt mir Wasser auf mein Haupt
und meinen Augen  eine Flut von Tränen,
damit ich Tag und Nacht beweine
die gefallenen Töchter meines Volkes.

 

»O rubor sanguinis« • Hildegard von Bingen 1098 – 1179

Antiphon der heiligen Hildegard von Bingen. Die Melodie wird durch Flötenimprovisation umspielt und durch Naturtöne in eine eigene Atmosphäre versetzt.

O rubor sanguinis, qui de excelso illo fluxisti,
quod divinitas tetigit. Tu flos es,
quem hyemps de flatu serpentis numquam lesit.

O purpurrotes Blut, du bist entströmt der Höhe,
die da die Gottheit hat berührt! Du bist die Blüte,
die der Schlange frostkalter Hauch nie hat verletzt.

 

»Ich spür ain tier« • Oswald von Wolkenstein ca.1376 –1445

Durch die Angst vor dem Monster des Todes zieht Oswald von Wolkenstein sein Lebensresümée mit der Bitte um Erlösungsaussicht. Diabolische Flötentöne und höllische Steeldrumschläge umgeben den 600 Jahre alten Gesang.

lch spür ain tier
mit füssen brait gar scharpf sind im die horen,
das wil mich treten in die Erd
und stößlichen durchboren.
Den slund so hat es gen mi kert,
als ob ich im für hunger sei beschert.
Und nahet schier dem herzen mein
in befündlichem getöte,
Dem tier ich nicht geweichen mag,
o we, der großen nöte,
Seid al mein jar zu ainem tag geschübert sein,
die ich ie hab verzert.
Ich bin erfordert an den tanz
do mir geweiset würt
al meiner sünd ain grosser kranz,
der rechnung mir gebürt,
doch wil es got der ainig man,
so wirt mir pald ain strich dadurch getan.

Erst deucht mich wol,
solt ich neur leben aines jares lenge
vernünftiklich in diser welt,
so wolt ich machen enge
mein schuld mit klainem widergelt,
der ich laider gross von stund bezalen müss.
Darumb ist vol
das herzen mein von engestlichen sorgen,
und ist der tod die minst gezalt.
o sel, wo bistu morgen?
wer ist dein tröstlich ufenthalt,
wenn du verraiten solt mit haisser buss?
O kinder, freund, gesellen rain,
wo ist eur hilf und rat?
ir nempt das güt, lat mich allain
hin varen in das bad,
da alle münz hat klainen werd,
neur güte werck, ob ich der hett gemert.

 

»Seikilos-Lied« • Seikilos zwischen 200 v. Chr. und 100 n. Chr

»Seikilos« ist eines der ältesten erhaltenen Lieder. Der Text mit Zeichen für die Tonhöhen wurde in Tralles (Kleinasien) auf einer Grabstele gefunden:

“Ich bin ein Bild in Stein; Seikilos stellte mich hier auf, wo ich auf ewig bleibe, als Symbol zeitloser Erinnerung.
Solange du lebst, tritt auch in Erscheinung. Traure über nichts zu viel. Eine kurze Frist bleibt zum Leben. Das Ende bringt die Zeit von selbst.”

 

»Bläue« und »Andenken« • Texte Friedrich Hölderlin 1770 – 1843 / Fragmentierung Bonnen 2013

Improvisation über fragmentierte Texte aus der späten schöpferischen ‘Scardanelli’-Phase des Dichters Friedrich Hölderlin

 

»Mondgesicht« • Text Cora Schmeiser

Eine warme Geschichte von Mondgesicht und Sonnenlicht.

 

Musik von Manfred Niehaus 1933-2013

Manfred Niehaus war die rechte Hand von Bernd Alois Zimmermann, für den WDR der Produzent von Karlheinz Stockhausen, Freund und Produzent von John Cage, er war Mitglied der Gruppe 8, spielte in der Band von Carla Bley, während in seinen Theatergruppen Jürgen Flimm und Eberhard Feik spielten, er war Redakteur für Neue Musik beim WDR und später Begründer und langjähriger Leiter der Jazz Redaktion, doch vor allem war er Komponist von Opern, Konzerten, Kammermusik, Chormusik usw.
Mit Dietmar Bonnen arbeitete Niehaus über 25 Jahre zusammen, jeweils in den Ensembles des anderen oder als eine Hälfte des Russisch-Deutschen Komponistenquartetts. Ein paar Tage vor seinem Tod schrieb Manfred Niehaus »Kleines Lied« für das Lunyala Trio.
Aufgrund des Textes, den Daniil Charms für ein Kinderbuch schrieb, kam er ins Leningrader Gefängnis, wo er während der deutschen Blockade vergessen wurde und verhungerte.

»Kleines Lied« • Text Daniil Charms 1905–1942

Einst ging ein Mensch aus seinem Haus in Mantel, Stock und Hut.
Lang ist der Weg, lang ist der Weg, der vor ihm auf sich tut.
Er ging und ging geradeaus und schaute nicht beiseit.
Nicht schlief, nicht trank, nicht trank, nicht schlief er gestern, morgen, heut’.
Und eines Tags im Morgengraun stand er im dunklen Wald,
und seit der Zeit, und seit der Zeit er für verschwunden galt.
Begegnet ihr ihm irgendwann an irgendeiner Stell’,
dann sagt es, dann sagt es uns, dann sagt es uns uns ganz schnell!

Drei Kompositionen auf Texte von Jakob van Hoddis 1887–1942
Manfred hat immer wieder Texte des Expressionisten, der im Dritten Reich euthanasiert wurde, zur Grundlage seiner Kompositionen gemacht. Diese drei Lieder sind für die Manfred Niehaus Pocket Opera entstanden.

»Totenklage«

Dieser Sohn, um den ich weine, liegt den Würmern jetzt zum Fraße.
Ja, er hat die Uhr einmal einfach an die Wand geschlagen,
konnte keinen Widerspruch mehr ertragen.
Was wir sagen, war ihm widrig und verlogen.
Ja, er hatte viele Schrullen, ach wir sind doch schließlich froh,
Schwester flüstert es vertraulich: ‘Freu’ dich, endlich ist er tot!’
Muttchen schneuzt sich und erbaulich stiert sie in das Abendrot.

»Weltende«

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
in allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Eisenbahnen fallen von den Brücken.

»Der Visionarr«

Lampe blök nicht.
Aus der Wand fuhr ein dünner Frauenarm.
Er war bleich und blau geädert.
Die Finger waren mit kostbaren Ringen bepatzt.
Als ich die Hand küßte, erschrak ich:
Sie war lebendig und warm.
Das Gesicht wurde mir zerkratzt.
Ich nahm ein Küchenmesser und zerschnitt ein paar Adern.
Eine große Katze leckte zierlich das Blut vom Boden auf.
Ein Mann indes kroch mit gesträubten Haaren
einen schräg an die Wand gestellten Besenstiel hinauf.

 

»Dream of a hit« • Text Oskar Pastior

Der Titel des Stückes weist auf Manfreds Erkenntnis, dass eine Komposition nur dann ein Hit werden kann, wenn „alles rechteckig“ ist: vier Akkorde und ein gleichbleibendes 16tel-Rhythmusmotiv. Über diese Basis setzte er dann seine Vertonung von Oskar Pastiors Text »Frescobaldi«.

Ich bin ein Gegenteil von bin. Bin ist
ein Gegenteil von ist. Ein Gegenteil ist
ein Teehaus von mir. Zusammen mit einem

Gegenteil bin ich ein Rohbau von bin oder
ein Teehaus von ist. Das ist gar nicht so
kompliziert. Ist ist ein Teehaus von Cel-

le. Ohne Teehaus ist Celle ein Rohbau. Ein
Gegenteil von Celle ist ein Adagio,  und
zwar mit mitr in einem Rohbau. Aber auch

mit Bruno! Mit Bruno zusammen ist Celle
ein System von bin. Zusammen mit mir ist
Bruno ein Rohbau von Scharun. Mit und oh-

ne Celle ist ein Adagio mit Bruno ein Tee-
haus von mir ohne Teehaus – ein Gegenteil
ist ein System ohne ist, nur bin. Aber ich

bin gar nicht so kompliziert wie mit Bru-
no zusammen im Rohbau. Ohne Celle ist ein
Teehaus in Celle ohne ist – das ist ein

Adagio von bin oder ein Rohbau ohne Gegen-
teil in einem Gegenteil ohne System oder
Bruno ohne Bruno in einem Teehaus von mir.

 

»Ofrenda« • Mario Lavista (* 1943)

Der Mexikanische Komponist Mario Lavista schrieb Ofrenda zum Tod eines guten Freundes, in Anlehnung an die Tradition der Ureinwohner seiner Heimat, bei der Totenzeremonie einen Klagegesang auf einer Flöte erklingen zu lassen.

Porque un espléndido paisaje,
o unos ojos amigos, me desatan
como si me cruzara con Dios en este mundo?

Warum wirkt eine weite Landschaft
oder die Augen eines Freundes
befreiend auf mich,
als ob ich Gott treffe in dieser Welt?