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Manfred Niehaus – [ko:]

Regards

3 Texte des Hl. Augustinus 1975
1 »Mein Herr und Gott, gib uns den Frieden« 3'14
2 »Der siebente Tag hat keinen Abend« 1'42
3 »Aber unser Herz flattert noch« 6'45

SÜDFUNKCHOR
Leitung: Marinus Voorberg
Aufnahme in der »Villa Berg« Südwestrundfunk Stuttgart 1980

4 Veni Sancte Spiritus 1955 1'26

COLLEGIUM VOCALE KÖLN
Sopran: Michaela Krämer
Mezzosopran: Gaby Rodens
Leitung und Tenor: Wolfgang Fromme
Tenor: Helmut Clemens
Baß: Hans-Alderich Billig
Aufnahme im »AULOS Studio« Viersen: Heinz Klein

5 Märchen 1974 3'11
Text: Georg Büchner

KÖLNER KANTOREI
BLASORCHESTER DÜRSCHEID
Leitung: Volker Hempfling
Livemitschnitt 1974 Mönchengladbach: Heinz Klein

6 Geräusch 1972 2'19
Text: Gertrude Stein

Livemitschnitt 1972 Bergisch Gladbach: Ansgar Ballhorn

7 28. August 1982 2'42
Text: Martin Walser

SANDER KIRCHENCHOR
Leitung: Manfred Niehaus
Aufnahme im »AULOS Studio« Viersen: Heinz Klein

8 Oktober 1849 1988 2'18
Text: Heinrich Heine

Vier jiddische Volkslieder 1987
Volkstexte

9 »Ale Wasselech flissn awek« 2'00
10 »Tumbalalaika« 1'47
11 »Chasskele« 1'44
12 »Jomi, Jomi, schpil mir a Lidele« 1'38

13 Mutter, warum ist es so kalt 1988 1'11
Volkstext

KÖLNER VOKALISTEN
Sopran: Heidi Heuter
Alt: Ruth Sandhoff
Tenor: Helmut Clemens
Baß: Hartmut Singer
Leitung: Manfred Niehaus
Livemitschnitt 1988 im »Stadtgarten« Köln

Zwei Chöre aus dem »Norfer Te Deum« 1980
Text: Ludwig Soumagne
14 »Vatter« 0'50
15 »Dat alde Mäerche« 0'47

KAMMERCHOR KLEVE
ORCHESTER DER KREISMUSIKSCHULE KLEVE
Leitung: Herbert Krey
Aufnahme im »AULOS Studio« Viersen: Heinz Klein

16 Stabat Mater 1994 5'55
Kölscher Text: Hans Wipperfürth

KAMMERCHOR ST. ROCHUS
Leitung: Wilfried Kaets
Aufnahme 2003 in St. Rochus, Köln: Gagga Deistler

17 Bach, als seine Frau starb 1992 1'07
Text: Heinrich von Kleist

18 Mozart Goes To Town 1985 1'46
Text: Manfred Niehaus

An der Theke 2000 ff.
Texte: ebendort aufgelesen
19 »Erwin (1)« 0'27
20 »Erwin (2)« 0'39
21 »Kanon« 1'21
22 »Laach doch ens« 0'14
23 »Identität« 0'24

24 Der Rebbe spricht 1990 2'15
Text: John Cage (deutsch von Hans G Helms)

Kammerchor LES SAXOSYTHES
Leitung: Dietmar Bonnen
Aufnahme 2002 im »Loft« Köln: Gagga Deistler

1-15 ADD/16-24 DDD GEMA
c OBST 2003 p Niehaus 1972–2003
TT: 47'48

Pre-Mastering 4–15: Ernst Gaida-Hartmann
Mastering: Gagga Deistler
Design etc.: Peter Hölscher

Der Komponist zu seiner Chormusik

Die Chorwerke dieser CD datieren ihre Entstehung zwischen 1955 und 2002, dokumentieren also eine Entwicklung von fast 50 Jahren. Auch die Aufnahmen stammen aus verschiedenen Zeiten und verschiedenen Situationen. Neben aktuellen Studioaufnahmen aus den Jahren 2002 und 2003, eigens für diese CD aufgenommen, gibt es eine Studioproduktion des Südfunks, die kurz nach der Uraufführung des betreffenden Stückes entstand, dann aber auch live-Mitschnitte, meist von Stücken, die nur einmal aufgeführt worden sind, die für einen bestimmten Anlaß geschrieben wurden, Aufnahmen, die unter abenteuerlichen Umständen zustande kamen, etwa in der Fußgängerzone einer Stadt, umbrandet vom Autoverkehr. In diesem Falle gehören die Geräusche selbstverständlich mit zur Komposition. Chorgesang ist für den Komponisten kein steriler Wohlklang sondern ein facettenreiches gesellschaftliches Erlebnis. Man hat es ja immer mit vielen und verschiedenen Menschen zu tun.

1971 zogen wir aus der Kölner Innenstadt aufs Land, der kleinen Tochter zuliebe, damit sie im Grünen aufwachsen könne. Das Haus stand in Bergisch Gladbach-Sand, an der Kreuzung nebenan war die Gastwirtschaft, gegenüber die Kirche und die Grundschule. Dahinter und hinter unserem Haus und der Gastwirtschaft waren Wald und Wiesen. Eines Abends, schon bald, standen einige Herren vor unserer Haustür. Einer hatte eine Flasche Schnaps in Geschenkpapier verpackt unterm Arm. Es war der Vorstand des Kirchenchores von Sand. Sie suchten einen neuen Dirigenten, der ihrige war gerade zum Leiter der Musikschule in Kleve bestellt worden. Er hatte ihnen den Tip gegeben, daß hier ein Musiker eingezogen war.

Ich hatte während des Studiums u. a. auch Chorleitung probiert, mein Lehrer war kein Geringerer als Hermann Schroeder. Aber bei allen spannenden Momenten, den Generalproben und Aufführungen, saß ich als Geiger oder Bratscher im Orchester. Trotzdem nahm ich die nebenamtliche Stelle an; das Neue reizte mich, die Flasche Schnaps rührte mich. Am 29. Oktober 1971 war meine erste Probe mit dem SANDER KIRCHENCHOR. 28 Jahre habe ich dann den Chor geleitet und 364 Auftritte mit ihm gehabt. Das hat natürlich auch mein Komponieren für Chor nach und nach beeinflußt.

1955 schrieb ich, noch als Autodidakt, »Veni Sancte Spiritus«, zunächst für 5 gleiche Stimmen, weil ich die Knaben des KÖLNER DOMCHORes so bewunderte. Dann hörte ich Luigi Nonos »Canto Sospeso« und bin sehr erschrocken; machte der doch dort genau dasselbe wie ich, teilte den Vokalklang eines Wortes auf mehrere Stimmen auf! Ich habe mein Stück danach lange versteckt; würde mir doch keiner glauben, daß ich unabhängig von Nono darauf gekommen war! So war das in der Zeit, als Neue Musik noch neu sein mußte.

Während meines Studiums bei Bernd Alois Zimmermann von 1958 bis 1963 haben wir uns um Chormusik nicht gekümmert. Welcher Chor würde sich damals schon um uns gekümmert haben?

Mitte der 70er Jahre erhielt ich den Auftrag, etwas für den SÜDFUNKCHOR zu schreiben. Damals hatten meine Erfahrungen mit dem Kirchenchor noch nicht aufs Schreiben abgefärbt. Dann schon eher Erfahrungen mit dem Opernchor in Kiel, der 1970 unter Lothar Zagroseks Leitung wesentlichen Anteil an der Realisation meiner Oper »Maldoror« hatte.

Das »Märchen« von Büchner geriet da schon konventioneller; es wurde ja auch für eine Abendandacht beim Katholikentag 1974 geschrieben und im Fußballstadion von Borussia Mönchengladbach aufgeführt.

Meinem Chor in Bergisch Gladbach mutete ich weiterhin abenteuerliche Stimmführungen wie in »Geräusch« von Gertrude Stein zu, und das auch noch im Freien zu singen, in der Fußgängerzone von Bergisch Gladbach. „Womöglich zieht der Hörer die Töne des Alltags jenen vor, die er gerade in einem Musikprogramm hört“, meint John Cage in seinem Aufsatz »Unbestimmtheit«. Hier sind sie, dicht beieinander.

Doch allmählich lernte ich auch die akademische Schreibweise für Chor schätzen, sei es als Stilkopie eines fiktiven Goethe-Zeitgenossen für Martin Walsers ironische Goethe-Huldigung 1982 »In Goethes Hand«, sei es als harmonisch immer noch sehr freizügige Polyphonie auf lakonisch kurze Texte von Ludwig Soumagne, Heinrich von Kleist und John Cage.

Bei strophischen Liedern habe ich mir vorgenommen, die Harmonik so zu differenzieren, daß sie zum Inhalt jeder Strophe paßt, und daß man bei der vierten Strophe noch nicht ganz dahintergekommen ist (als Hörer, nicht als Sänger).

1998 gab ich aus Altersgründen meinen Chor in Sand an einen Jüngeren ab. Zugleich fand ich in Köln einen neuen Chor, den Kammerchor LES SAXOSYTHES, der sich liebevoll mit meinen Chorstücken abgibt; gelegentlich darf ich auch mal im Tenor aushelfen.

Inzwischen wohne ich auch wieder in der Stadt, in Köln, und da gehöre ich auch hin! Die Tochter ist längst erwachsen und aus dem Hause. Eine neue Serie Chorstücke entsteht: »An der Theke«. Das ist Köln, wie ich es erlebe. Die Texte sind keine Literatur sondern Fundstücke, real existierende Meinungen und Schicksale, die Dialektfärbung gehört wesentlich dazu. Ich versuche, diese kölnische Realität in musikalischen Stenogrammen verständlich zu machen.
Köln, im September 2002

Manfred Niehaus

Hoher Ernst auch mal auf kölsch

Redakteur für Neue Musik und Jazz, Bratschist mit und ohne Noten, Komponist und Chorleiter – das alles war beziehungsweise ist Manfred Niehaus. Nach zwanzigjähriger Arbeit für den Westdeutschen Rundfunk hat sich der 1933 in Köln geborene Musiker in der jüngeren Vergangenheit verstärkt um eigene künstlerische Ideen gekümmert, rief sich als gewiefter Jazz-Musiker (oft an der Seite von Dietmar Bonnen), wieder in Erinnerung. Und eben auch als Autor von Kompositionen überraschend unterschiedlicher Couleur.
Keine Gesamtaufnahme, wohl aber doch ein repräsentativer Schnitt durch Niehaus' Chormusik ist just beim Kölner Label OBST erschienen, und er läßt manches Mal verwundert staunen, daß dieses Hin und Her zwischen Avantgarde und Kirchentag, zwischen Literaturvertonung und Mundart-Gesang wirklich aus der Feder ein und desselben stammt. Der hohe Ernst einer ganz auf Fortschritt getrimmten Tonsprache (im Nono-nahen Jugendwerk »Veni Sancte Spiritus« von 1955) ist, so scheint es zumindest, im Laufe der Jahre mehr und mehr einer praxis- und irgendwie auch "volksnahen" Ästhetik gewichen.
Sie vermag auch die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Laienchören zu befriedigen und gewinnt zunehmend an Lokal-Kolorit. Der langjährige Ehrenfelder Niehaus läßt sich von Kneipen-Philosophen (»An der Theke«) inspirieren, vertont liturgische Text auf kölsch und ist auch Kalauern ganz und gar nicht abgeneigt (»Mozart goes to Town«).

Kölnische Rundschau 14.8.03
Raoul Mörchen