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Susanne Hille – Sonnekus 2

Sonnekus2

John Cage

2’16
1’35
1’46
3’11

Cabaret Chansons
Erik Satie

Bearbeitung Dietmar Bonnen

Je te veux 3’26
Tendrement 4’00
La Diva de l `Empire 2’30

Gesang: Susanne Hille
Akkordeon: Dietmar Bonnen
Saxophon: Lothar Burghaus

Produktion: Bonnen/Gaida-Hartmann Aufnahme/Mix: Ernst Gaida-Hartmann
Cover: Bernhard Kucken
Foto: Birgit Halfmann
Layout/Satz: Corinna Hertlein

Sonnekus2 von 1985 ist eine Huldigung des amerikanischen Komponisten John Cage (1912-1992) an seinen Vorläufer, den französischen Komponisten Erik Satie (1866 –1925); es ist nicht die erste Bezugnahme dieser Art, schon in »Cheap Imitation« von 1969 wird auf Saties »Socrate« Bezug genommen.

Sonnekus2 ist zunächst eine pentatonische Melodie (von g bis c''). Diese Melodie soll auf schlichte, volksliedhafte Weise, ohne Vibrato gesungen werden. Die Interpretin soll beliebig lange Pausen einlegen, in denen sie ihre Garderobe wechseln oder in einem anderen Raum, vom Publikum weiter entfernt, Kabarett-Songs von Erik Satie (mit Begleitung) singen kann. Cages unbegleitet zu singenden Melodien sind Textfragmente aus dem 1. Buch Moses »Genesis« unterlegt, die vom Zufallsprogramm eines Computers ausgewählt wurden. Der theatralische Effekt der Interpretation soll – nur andeutungsweise- zwischen Kirche und Kabarett wechseln. Der Titel »Sonnekus2« bezieht sich auf Saties Stücktitel »Sonneries de la Rose + Croix«.

John Cage`s Anregung folgend sind in die vorliegende Aufnahme von Sonnekus2 die folgenden Chansons von Erik Satie eingeschoben: »Je te veux« (H. Pacory), valse chantée, 1897, »Tendrement« (V. Hyspa), valse chantée, 1902 und »La diva de l`empire« (D. Bonnaud / N. Bles), 1904. Satie war damals Kapellmeister in einem café-concert in Paris. Alle drei Chansons gibt es auch in zeitgenössischen Arrangements für »orchestre de brasserie«, also für Kaffeehausorchester. Die vorliegenden Arrangements besorgte der Kölner Komponist Dietmar Bonnen, in denen er selbst ein zirkusreifes Mini-Akkordeon spielt. Die für Saties Walzer unentbehrliche Baßstimme übernimmt hier ein Bariton-Saxofon.

Was verbindet John Cage mit Erik Satie, über den man in Darmstadt, als dort noch der Nabel der musikalischen Moderne angenommen wurde, kein Wort verloren hat? Erik Satie war doch ein Dilettant, ein komischer Kauz dazu, dem sein Freund Claude Debussy die Formlosigkeit seiner Machwerke vor-gehalten hatte, woraufhin dann Satie »Drei Stücke in Form einer Birne« (1902) geschrieben hat. Bemerkt doch Satie selbst: »Man wird Ihnen sagen, daß ich kein Musiker sei. Das stimmt.«
Und dieser John Cage war auch ein komischer Vogel, hatte das »präparierte Klavier« erfunden, verstand eine Menge von Pilzen und vom Buddhismus, hatte aber immerhin eine Zeitlang bei Arnold Schönberg studiert, der in künstlerischen Belangen doch wohl keinen Spaß verstand. Arnold Schönberg über John Cage: »Natürlich ist er kein Komponist, aber er ist ein Erfinder - der Genialität.«

Susanne Hille , von Bernhard KuckenIch erinnere mich noch an das erste Auftreten John Cages bei den »Darmstädter Ferienkursen« im Sommer 1958. Wir saßen im Speiseraum, es war noch zu früh zum essen, aber Pousseurs Vorlesung
war zu langweilig. Da kamen einige reichlich verstört wirkende Kommilitonen herein, nahmen Messer und Gabeln vom Tisch, warfen sie in die Luft, ein paar Zeitungen, Zettel, Papierschnipsel dazu, beobachteten gespannt, wie und wohin sie fielen. Was sind denn das für welche? Das ist der Kurs von John Cage!
Die Erfahrung des Zufalls hielt Einzug in die Ästhetik der Neuen Musik!

Im gleichen Jahr, 1958, schrieb John Cage im »Art News Annual« über Erik Satie:

»Wer interessiert sich heute überhaupt für Satie? Nicht Pierre Boulez: er hat die zwölf Töne, regiert Le Domaine Musical, während Satie nur die Groupe des Six hatte und Le Maître d`Arcueil genannt wurde. Noch Stockhausen: ich kann mir vorstellen, daß er Satie noch keinen Gedanken gönnte...
...Ein Künstler bewegt sich gewissermaßen in eine Richtung, die er aus gutem Grund eingeschlagen hat, und reiht Werk an Werk in der Hoffnung, alles zu vollenden, bevor ihn der Tod holt. Satie aber verachtete Kunst (»J`emmerde l`Art«) . Er bewegte sich nirgendwohin. Der Künstler zählt 7, 8, 9 usw.

Satie scheint an nicht voraussagbaren Stellen immer ab Null zu springen: 112, 2, 49, kein usw. ...
...seltsam genug: das Zwölftonsystem enthält keine Null...
denn in diesem System ist 12 plus 12 gleich 12. Es ist nicht genug Nichts darin. ...
...eine Zeit, die nichts als Zeit ist, läßt Klänge nichts als Klänge sein, und wenn es Volksweisen, unaufgelöste Nonakkorde oder Messer und Gabeln sind, sind es nichts als Volksweisen, unaufgelöste Nonakkorde oder Messer und Gabeln. ...
... um sich für Satie zu interessieren, muß man vor allem anderen sein Interesse fahren lassen, hinnehmen, daß ein Klang ein Klang ist und ein Mensch ein Mensch, Gefühlsausdrücke, Illusionen über Ordnungsideen und den ganzen Rest unseres geerbten ästhetischen Papperlapapps aufgeben ...
...die Frage ist nicht, ob Satie relevant sei. Er ist unerläßlich.«

(zitiert in der Übersetzung von Heinz-Klaus Metzger, aus "Musik-Konzepte" Bd. 11)

Indem er über Satie redet, beschreibt John Cage natürlich auch sich selbst; das machen alle Komponisten so, wenn sie über andere Komponisten schreiben.

Und immerhin bemerkte auch Theodor W. Adorno: »...in den schnöden und albernen
Klavierstücken Saties blitzen Erfahrungen auf, von denen die Konsequenz der Schönbergschule,
hinter der alles Pathos der musikalischen Entwicklung steht, nichts sich träumen läßt.«

Heute, wo wir sehen, daß die »Moderne« längst am Ende ist - die Tonalitäts-Archisten
(Heinz-Klaus Metzger in einem Beitrag über Anarchie: »Diejenigen, die nicht für die Freiheit
stehen, sollte man eigentlich Archisten nennen«) haben es ja immer schon vorausgesehen! – sind beide, Satie und Cage, für uns unerläßlich.

Ob es nun einen Fortschritt gibt, in der Musik, in der Kunst, überhaupt, oder nicht, es bleibt mir
das Wort von Satie im Ohr: »Wenn in dieser Richtung nichts mehr getan werden kann, muß ich
mir etwas anderes suchen, oder ich bin verloren.«

Manfred Niehaus

Cage wrote Sonnekus2 in 1985, in homage to Erik Satie. An unadorned pentatonic melody, with Biblical text modified through computer permutation, is delivered by the unaccompanied voice of Soprano Susanne Hille. Interspersed are three rollicking cabaret songs by Satie himself, with Hille abetted by Dietmar Bonnen on accordion. Lothar Burghaus adds baritone sax punctuation, against a backdrop of simulated Montmartre café chatter. The result invokes that curious amalgam in Satie's character of defiant Bohemian and pious mystic. More fun than Cage's earlier tribute Cheap Imitation, even if it lasts less than 19 minutes.

The Wire 1/99