|
Andreas Schilling wurde 1957 in Köln geboren. Vom siebten Lebensjahr an spielte er klassische
Gitarre. Später – während eines Schuljahres in den USA - wechselte er zum Kontrabaß und komponierte
Theatermusik.
In Washington, D.C. wirkte er beim OUT OF CONTROL ENSEMBLE FOR IMPROVISED OPERA
mit. Er studierte Musik und Kunst in Köln und Düsseldorf. Als Kontrabassist, Arrangeur und Komponist ist er
seit 1977 Mitglied des MARKUS-REINHARDT-ENSEMBLE Köln; Seit 1986 Mitglied der Gruppe FLEISCH, einem Ensemble für
Neue Musik.
Seither entstanden zahlreiche Kompositionen für CD-Produktionen sowie Bühnen- (Hebbeltheater, Bühnen der Stadt
Freiburg etc.), Film- und Fernsehmusiken. 1995 erhielt er den »Filmmusikpreis der Deutschen Phonoakademie«. Komposition,
Arrangements und Toneffekte bei der Inszenierung »Hooligans«, »Minna von Barnhelm« und »Medea« am
Freiburger Stadt-Theater. Zusammenarbeit mit dem TRASH THEATER seit 1999 für »Shoppen & Ficken«, »110
min, keine pause« (eine komposition aus arien, tanz und schauspiel).
»Schilling Filmmusik«
|
|
»Fräulein Stinnes fährt um die Welt«
Verzweifelt versucht die kleine Gruppe, das altertümliche Automobil aus
dem Matsch der sibirischen Taiga zu ziehen, mal in Schwarz-weiß, mal in Farbe. Endlich geht es ruckelnd weiter,
dazu erklingt ein beschwingtes Thema im mittleren Tempo, eingespielt mit Streichern, Tuba und Oboe. Ein Spielzeugauto
düst über eine Landkarte, plötzlich sind wir an der chinesischen Mauer, wo das Thema ebenfalls wieder
auftaucht, diesmal mit Flöte und Zimbeln interpretiert. Noch später, zu Aufnahmen der Straßenschluchten
von New York, setzt – angeführt von einer Klarinette – die Swing-Variante ein.
»Fräulein
Stinnes fährt um die Welt« heißt der Film, den der Komponist Andreas Schilling gerade passagenweise
in seinem Tonstudio in der Südstadt anschaut. Regisseurin Erica von Moeller zeichnet darin die abenteuerliche Reise
der Industriellen-Tochter, Rennfahrerin und Kettenraucherin Clärenore Stinnes nach, die 1927 bis 1929 den Globus
in dem Adler-Modell Standard 6 umrundete. Von Moeller konnte dafür die technisch ausgezeichneten Original-Aufnahmen
des mitreisenden Kameramanns und nachmaligen Stinnes-Gatten Carl-Axel Södersröm benutzen, die nun kunstvoll
mit Spielszenen verbunden sind. Auch für Schilling bot die Thematik ganz besondere Möglichkeiten: „Wo
es möglich war, habe ich immer die landesüblichen Instrumente und Musikstile der jeweiligen Stationen eingebaut.“
Im
kommenden Frühjahr soll der Film in die Kinos kommen, fertig geschnitten ist er noch nicht, und daher handelt es
sich bei Schillings Filmmusik auch erst um einen „Entwurf“. Was das bedeutet, verdeutlicht er, indem er
mit flinker Hand die Tastatur einer Konsole bedient: Auf zwei Monitoren erscheinen die eben gehörten Klänge
grafisch recht profan in Form übereinander angeordneter Rechtecke, die jeweils für ein Instrument oder eine
Instrumentengruppe stehen. Die Rechtecke sind unterschiedlich lang und gegeneinander versetzt. So ist sogar für
Laien deutlich erkennbar, an welcher Stelle der Komposition die einzelnen Instrumente einsetzen und wo ihr Beitrag endet.
Vorbei die Zeiten, als guruhafte Toningenieure in mühevoller Kleinarbeit mit Hilfe hochsensibler Bandmaschinen
auf maximal 24 Spuren die unterschiedlichen Stimmen zu einem Stück zusammenpuzzelten. Vorbei auch die Zeiten, als
Orchesterpassagen noch generell live eingespielt werden mussten. Die MIDI-Technik zur digitalen Bearbeitung vorab
|
gespeicherter Klänge macht’s möglich: „Wie gut, dass einige Mitglieder
der Wiener Philharmoniker ihre Seele verkauft und jeden einzelnen Ton mit unterschiedlicher Artikulation aufgezeichnet
haben, mit mehr oder weniger Vibrato zum Beispiel. Das kann ich jetzt jederzeit auf meinem Keyboard von der Festplatte
abrufen, die Länge der Töne bestimmen und so viele Streicher über einander legen, wie ich brauche.“
Auch
die Harfe etwa oder die Oud, eine orientalische Laute, hat er abgespeichert – alles ein Kinderspiel also? So einfach
ist es doch wieder nicht: „Bei gezupften Instrumenten ist es kein großes Problem, aber bei Streichern fällt
es auf, weil man die Übergänge zwischen den Noten nicht so gut digital imitieren kann“, erzählt
Schilling. „Deshalb lade ich, wenn in der Komposition zum Beispiel eine kleine Streichergruppe vorkommt, immer
einen Geiger ins Studio ein, der die entsprechenden Passagen live spielt. Das kombiniere ich dann mit den ,digitalen
Streichern’ und insgesamt wirkt das Ganze echter.
Solo-Instrumente muss ich sowieso live aufnehmen.“
Wie viel seines „Entwurfs“ mit Live-Instrumenten
angereichert wird, ist letztlich eine Gewissensfrage. Denn die Musiker muss der Komponist von seinem Honorar selbst
bezahlen. Seit MIDI allgemeiner Standard geworden ist, also seit den neunziger Jahren etwa, wird auch erwartet,
dass er nicht nur eine Komposition abliefert, sondern die fertig produzierte Musik. Eine Ausnahme seien natürlich
Produktionen mit entsprechend großem Budget, da seien Live-Aufnahmen immer noch die Regel.
Eine Konsequenz der
Entwicklung von Computerprogrammen wie ,Logic Audio’ oder ,Pro Tools’ sei aber, dass sich nicht mehr nur
Musiker, sondern auch „viele Elektronik-Frickler“ mit Soundtracks beschäftigten. Für den studierten
Kontrabassisten und Komponisten, der seine Ideen immer noch wie zu Mozarts Zeiten von Hand auf Notenblättern einträgt,
ist das „durchaus legitim, so lange das musikalische Talent da ist.“ Oft genug allerdings beauftragten Regisseure
und Produzenten befreundete Amateure und wunderten sich dann, dass deren Musik „nicht funktioniert“. Denn
selbst wenn es sich „nur“ um einen Freitagabend-Film fürs Fernsehen handele, bei denen oft lediglich
die im Bild gezeigten Gefühle und Stimmungen verstärkt werden müssten, seien da handwerkliche Fertigkeiten
gefragt. Schilling, der unter anderem die Titelmusik für »Schimanski« und »Die
|
Fussbroichs« geschrieben hat, warnt davor, diese Herausforderung zu unterschätzen: „Man muss das
ja erst mal schaffen: Mit einer eingängigen Melodie die Leute aus der Küche ins Wohnzimmer locken.“
Der
50-jährige, der mit dem Markus-Reinhardt-Ensemble Zigeuner-Jazz spielt, zum festen Musiker-Stamm des rührigen
OBST-Labels für Neue und seltsame Musik gehört und mit Nicht-Film-Kompositionen wie »Großes Termitenballett«, »Die
Pressluftwache« und »Rosenmontag aus Licht« auf sich aufmerksam machte, akzeptiert denn auch ohne
weiteres, dass er seine persönlichen musikalischen Vorlieben zuweilen ausblenden muss: „Zwölftonmusik
zum Beispiel kann man höchstens benutzen, wenn man etwas Bizarres oder den Irrsinn einer Figur untermalen will“,
lächelt er. „Ansonsten muss man sich an bestehenden Hörgewohnheiten orientieren.“
Obwohl er
Filmmusikkomponisten aus der „Goldenen Zeit“ wie Erich Wolfgang Korngold bewundert, der für den Piratenfilm »Herr
der sieben Meere« mit Erroll Flynn einst „jeden einzelnen Säbelhieb orchestriert“ habe, arbeitet
Schilling gern mit ungewöhnlichen Methoden, lässt auch mal die Musik mit der Filmhandlung kontrastieren, wenn
es Sinn macht: „Für die Verfolgungsjagd mit Gestapo-Leuten in den »Edelweißpiraten« wollte
der Regisseur eigentlich typische ,Action-Musik’. Aber ich habe eine melancholische Mundharmonika-Melodie vorgeschlagen – weil
ja ohnehin jeder weiß, dass die Jungs keine Chance hatten. Das hat ihn überzeugt, und es hat gut funktioniert.“
Ohnedies
sei der Umgang der verantwortlichen Produzenten und Regisseure mit dem Thema Filmmusik sehr unterschiedlich. Die
Arbeit fürs Fernsehen sei da relativ problemlos, man könne seine Gage besser kalkulieren und habe meist sechs oder
sogar acht Wochen Zeit für einen 90 Minuten-Film. Die Arbeit für Kino-Filme oder kleinere, experimentelle
Produktionen sei zwar künstlerisch befriedigender: „Aber man weiß nie, was passiert. Einige Regisseure
nehmen sich viel Zeit, um über die Musik zu reden. Wenn sie fünf Jahre lang an einem Projekt gearbeitet haben,
wollen sie, dass alles stimmt. Andere kommen mit ihrer Lieblings-CD und sagen: So etwas will ich haben.“ Die Filmmusik
werde häufig leider immer noch stiefmütterlich behandelt: „Als Komponist kommt man ja oft erst zum Schluss
dazu, wenn das Geld schon für anderes ausgegeben wurde. Und bei der Filmmusik soll dann gespart werden.
Hans-Willi Hermans
Kölnische Rundschau
|