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Bob Dylan

Harte Saiten. "I am just a guitar player - ..." »Tarantula«
Dylan war brav, wenn auch mit trotzigem Gestus. Zumindest bis zu seinem Motorradunfall Ende Juli 1966. Innerhalb von zweieinhalb Jahren von Mai 64 bis Mai 66 veröffentlichte er fünf ausser-gewöhnliche Alben, er trat während der ganzen Zeit auf, drei bis vier Konzerte pro Woche, und er nahm an endllos vielen Pressekonferenzen und Interviews teil. Dylan war berühmt. Er tat zwar das, was er immer machen wollte, Gitarre spielen und singen, aber er musste dabei Star sein. Nicht dass ers nicht genossen hätte, aber etwas in ihm wehrte sich auch dagegen: Der guitar player? Das Absichtlose? Einfach rumhängen im Viertel, im Village in New York, jammen, schauen, was passiert? "I wish, I wish, I wish in vain, that we could sit simply in that room again", singt er und würde sofort zehntausend Dollar abdrücken - im Song "Bob Dylans Dream" -, wenn sein Leben wieder so sein könnte; im Leben wollte er zumindest aus dem Starrummel raus. Widerstände machen sich bemerkbar ... sein Werden ist gestört ... die Gitarre verstimmt ...

Tuning ...
Paris. Olympia. 1966. Dylan, trés chic im Anzug, stimmt seine Gitarre. Nach drei Minuten Gejohle, Unruhe im Publikum. Dylan stimmt weiter. "Ich mach das für euch; mir persönlich ist das doch egal. Aber ich würd mich nicht so benehmen, wenn ich käme, um euch zuzusehen", sagt er und stimmt weiter. Nach fünf Minuten die Frage ans Publikum: "Hat denn keiner etwas zu lesen dabei?" Das Stimmen seiner Gitarre, berichten die Zeitungen später, soll eine Viertelstunde gedauert haben. Ziemlich unverschämt, auch wenn es der 24. Mai war. Sein Geburtstag. Er ist 25. Jacques Lacan, mit Countryfliege, damals ungefähr so alt wie Dylan heute, gerade dabei Freud neu zu tunen, war gekommen, um die Subversion des Begehrens live zu sehen. Die Pariser intellektuelle hipoisie empfand für Dylan eine besondere Zuneigung. Der Psychoanalytiker hätte dem starmüden Barden die Fahnen seiner Ècrits, die er gerade Korrektur las, hochreichen können. Dylan hätte darin Einiges gefunden über désir ... "Desire" wird später eine Platte von ihm heißen ... über Genuß ... das Spiel der Übertragung und Gegenerwartung zwischen Star und Fans ... das Ein- und Auftreten in Stadien ... das Sich-Spiegeln in der Menge und das Gespiegeltwerden. Die talking cure hätte er sich doch längst leisten können. "Only rich people can afford you", lässt Dylan Mr. Clap (ton?) zu Freud sagen in "Tarantula", seinem Buch, dessen Fahnen er bei sich hat und die er korrigieren soll - auch das noch! -, ein Buch, das von kissing guitars handelt, ein Kapitel mit "Prelude for the Flatpick" überschreibt, die Gitarre, ihren Sound zur queen kürt und mama zur princess ... ein Buch, das die Gedanken gleiten läßt, wie die Finger auf dem Griffbrett der Gitarre ... skandiert durch das flatpick ... typographisch die drei Punkte ... oder das kaufmännische &-Zeichen ... Dylans flat-picking-Technik beim Schreiben ... war das nicht sowieso die psychoanalytische Regel: Sage alles, was dir durch den Kopf geht ... tout est possible, tout est permis & "Tarantula", der Titel Nietzsches "Zarathustra" geschuldet, war einfach ein Fließen ... später weiß seine Musik ... one thing is sure, there ain't no cure, if you threw it all away & hat da nicht ein Anderer, ein Bob-Alias in einem Song eine Kur hinter sich? Dylan funktioniert. Die Songs fließen aus ihm heraus. Texte mit Sound. Die Gitarre stützt die Stimme mit den Baßtönen, mit den hohen treibt sie sie an. Endlich ein Dichter mit Plektrum, der selbst Kant zum Klingen bringen würde. Mit der Kombination von Stimme, Mundharmonika und Gitarre. Rimbaud mit der fetten Gibson. Mehr geht nicht. Das ist das Optimum. Wenn Dylan auf der Tour müde ist, nimmt er "Medizin", um wach zu bleiben. Er wird zur Marionette seines Starseins. Come on, leave your own chosen speed! Was man dann nicht alles ist und sein soll: Stimme einer Generation, eines Landes, Gewissen, Meinungsführer, Protestguru. Dabei wollte Dylan doch nur ein Gitarrist sein, seine Songs spielen. Später reflektiert er das, indem er Gründe angibt für die Veröffentlichung eines völlig sperrigen Albums wie "Self Portrait". "Ich hatte die Nase gestrichen voll von den Leuten, die meinten, sie können mit mir machen, was sie wollen ... Außerdem wollte ich mich von nichts und niemandem zur Marionette machen lassen." There ain't no cure - aber ein Motorradunfall. Jean-Luc Godard betont in seinen Vorlesungen, die er 1978f in Montreal vor Filmstudenten gehalten hat, daß er sich immer für Dylans Schicksal interessiert hat und ihn als eine Art amerikanischer historischer Parallelfigur zu sich selber begreift, weil sich "dort die gleichen Sachen abbilden, wie bei mir".

Playing ...
Godard hatte 5 Jahre später als Dylan seinen Motorradunfall. "Ich finde es nicht schlimm", sagt er seinen Studenten, "daß ich zwei Jahre in der Klinik war ... eine Art Privatgefängnis. Die Aktivisten sagen, sie haben im Knast gesessen, - das habe ich auch. (...) weil ich mich in Frage gestellt fühlte und nicht wußte ... Ich habe vor allem zugehört ... (...) ich habe Dutzende von Filmen angefangen und nicht fertig gemacht ... bloß Einstellungen ..." "Basement Tapes" nannte man die Einstellungen/Aufnahmen, die Dylan, während der Zeit seines Rückzuges mit der Band aufgenommen hatte. Absichtslos zunächst. Schrammelballaden. Just for fun. Just a guitar player & Ehemann/familyman ... Heirat ... Kinder ... Dylan hat Ende Juli 1966 einen Motorradunfall, der ihn sieben Jahre aus dem Around-The-World-Touren zieht. Sein Manager Grossmann hatte kurz vor dem Unfall schon wieder über sechzig Gigs gebucht. Der Song- and Danceman hat wie der Filmemacher Godard durch seinen Unfall in den Spiegel gesehen und sich gesagt: "Das bin ich nicht!" Ich, Robert Zimmermann, ist ein Anderer. "Another side of Bob Dylan" war als Album schon da, aber im Leben noch nicht angekommen. Dylans Flatpick gehorchte beim Paris-Konzert noch der Star-Signatur seiner Saiten. Diese Mischung aus trotzigem Tuning und selbstausbeuterischer It's-alright-Ma-I-can-make-it-Bravheit hatte ihn bei dem berühmt gewordenen Newportfestival 1964 zum Entsetzen seiner Folkgemeinde zur Fender/E-Gitarre greifen lassen, ihn zumindest schon elektrifiziert und mit hohem Speed diesem besonderen Sound angenähert, der ihm im Kopf herumgeht: "... dieser dünne wilde quecksilbrige Sound ... metallisch ... leuchtend golden, mit allen Assoziationen, die das wachruft."

Kissing guitars ...
Heavy metal strings von Anfang an. "Die erste Gitarre, die ich je hatte, war eine sehr alte Gitarre, und die Saiten waren vom Klavier. Deshalb benutze ich auch heute noch ein flaches Gitarrenpick - ich habe mich nie daran gewöhnen können, ohne dieses flache Pick zu spielen - es waren harte Saiten - und meine Finger taten weh." Eine schäbige, kleine Gitarre, die er liebkoste wie ein wertvolles Erbstück. Stundenlang saß er da, mit der Gitarre in den Händen, experimentierte und erkundete das Griffbrett. Mannoloff's "Basic Spanish Guitar Manual" gab ihm die ersten Hinweise, bis seine Ohren das Kommando übernahmen. Er fand seinen Sound, seine Stimmlage, seinen Schlüssel. "... send me a key - I shall find the door to where it fits, if it takes me the rest of my life ...", heißt es in "Tarantula". Der "kleine Gitarrenzupfer", wie Joan Baez ihn in seinen Anfängen nannte, hat seinen Schlüssel bekommen ... and it fits ... bis heute. Sechs Stahlsaiten und ein flatpick als Passpartouts für neue Sounds. Immer noch betreibt Dylan Griffbretterkundungen. Selbst im Blick auf eines seiner masterpieces mit Abschlußcharakter, die letzte CD "Time out of mind", spricht Dylan von Anfang: "Wir fangen gerade erst an, meinen Sound auf CD zu kriegen, und ich denke, da gibt es noch eine ganze Menge mehr zu tun. Wir haben damals eine Tür geöffnet, und wenn es soweit ist, werden wir zurückkommen und dort weitermachen, wo wir aufgehört haben", sagt er einem Gitarren-Magazin. "Der Meister", wie ihn viele Fans nennen, ist immer noch unterwegs.

Playing ...
Als Schrammelgitarrist fallen mir bei den Konzerten der letzten zwei Jahre zunehmend des Meisters Gitarrensoli auf. Es sind nur ein paar Töne, die er ständig wiederholt, manchmal auch kleine Riffs. Sowas wie Gitarren-Chants, während die Band den Song im Swing hält. Nichts Esoterisches, kein Verschieben heiliger Terzen. Das hat er nie gemacht. Selbst nicht in seinen fundamentalistischsten Augenblicken, wenn er Pech und Schwefel, Apokalypse und Armageddon zwischen den Songs von der Bühne runter predigte. Die Saiten bleiben heavy. Bluesig & folkig & countrylike, sogar jazzig (vgl. Konzert in Münster, Herbst 2000) & was ist gegen Gospel zu sagen?

Oh Lord, send me an angel ...
Was macht Dylan, wenn er Lead spielt? Die Tonarten an den Rändern aufrauhen? Macht er sowas Ähnliches wie beim Singen, wenn er mit der Phrasierung und dem Timing an die Grenzen geht? Sucht er was? Neue Türen? "There must be some way out of here." Himmelstüren? ... wo immer die hinführen ... Magische Töne ... Hypnotische Songlines ... Knockin'on heavens door ... Resonanzen ... Echos? ... Experimentiert er oder nudelt er einfach nur rum?

Play it fucking loud ...
Dylan spielt die Töne oder Riffs mit kleinen Pausen, wie als wenn er auf Antwort wartet. Wer soll ihm antworten? Nicht die Mitmusiker? Sie sind sowieso durch den Groove mit ihm verbunden; auch nicht die Zuschauer, die im besten Fall zuhören und nicht ständig Etwas fordern, was sie schon kennen und Dylan ihnen Gott sei Dank nicht gibt. Dylan-Klassiker. "Blowin'in the wind", zum Mitklatschen und Sich-besser-Fühlen als die Anderen. Dylan riskiert den Klangmoment. Auch da das Trotzige, aber als feinen Eigensinn. Nichts Eintrainiertes trägt Dylan dann vor, womöglich noch mit einem Fuß auf der Monitorbox ... wie Slash bei GUNS & ROSES, den Dylan übrigens auf "Under the Red Sky" im Studio hat, mit der Direktive, wie Django Reinhart zu spielen bei dem Stück "Wiggle, Wiggle" ... Dylan setzt sich, wie auch im Studio, dem Spontanen aus ... auch die Gastmusiker wissen meistens die Tonart, den key des Stückes nicht, das sie mitspielen sollen ... selbst Eric Clapton kam bei Dylan im Studio ins Schwitzen ... Dylan ruft an mit der Gitarre ... die Angels ... & wenn sie antworten, hört man sie, bekommt der Sound noch eine spezielle Signatur ... dieses metallisch Quecksilbrige, wenn nicht, dann klingt es dilletantisch und schief. Aber dieses Risiko geht Dylan ein, obwohl es sehr easy sein könnte für ihn, mit den guten Gitarristen, die er auf der Bühne und im Studio, im Rücken hat. Angefangen mit Robbie Robertson, Al Kooper, Eric Clapton, Tom Petty und weniger bekannten. Es wäre ein Leichtes für ihn, sich bei diesen brillianten Instrumentalisten in den Rhythmus einzuklinken, sich tragen zu lassen und mitzuspielen. Dylan kann es. Er hat diverse Techniken rauf und runtergespielt. Selbst das Fingerpicking, vor allem in den Sechzigern, zu hören u.a. auf "Don't think twice" von "Freewheelin" oder "Moonshiner" von den "Bootleg Series".

Eine Dreifinger-Pickingtechnik, die wieder hörbar ist auf den Bluescoverplatten "As good as been to you" und "World gone wrong". Elektrisch spielt Dylan das von ihm schon zitierte flatpicking, also mit einem flachen Blättchen, einem Plektrum. Aber auch frühe Stücke wie "Ballad of Hollies Brown" von "The Times They Are A-Changing" ist flatpicking, das seinen Drive durch die ständige Wiederholung und den harten Anschlag eines einfachen Riffs bekommt. Und besonders gefiel ihm, zum ersten Mal sein eigenes Material für "Freewheelin" zu spielen. "Klimperte auf der Gitarre herum, einer großen Gibson. Auf der fand ich mich einfach vollendet. Konnte in offener Stimmung spielen." In offener Stimmung spielen, nicht nur literally gemeint, das erprobt Dylan immer wieder. Godard??????? Auch da fühlt sich Godard, der nie ein Drehbuch für ein Filmprojekt hatte, Dylan verwandt: "Das ist wie bei Musikern. Die Haben auch kein Skript. (...) ... nie würde man zu Bob Dylan sagen, wenn er von seiner Plattenfirma Geld wollte: Gut aber bringen Sie mir erst mal ... Do you have a script?" Dylan hat kein Skript. Es ist das beiläufige Training, das ständige Spielen und Singen, auch das Zugehört haben, den alten Bluesmusikern ... Blind Willie McTell ... Hank und nochmals Hank Williams ... Woody Guthrie ... und Immer-Noch-Zuhören, das macht den Sound ... diese leidenschaftliche Identifikation, zu der Dylan immer noch fähig, auch wenn seine Texte was anderes auszudrücken scheinen. Dylan geht immer noch in die heißen Zonen der Empfindung, um seine Texte trocken zu halten. "Wenn ich mich auf etwas einlasse, dann lasse ich mich voll und ganz drauf ein. Ich spiel nicht nur so ein bißchen am Rand herum", sagt er in einem Interview im Blick auf seine religiöse Phase. Voll drauf eingelassen hat er sich im Godard'schen Geist auf ein Film- und Tourprojekt nach seinem Rückzug. Renaldo & Clara und "The Rolling Thunder Revue". Musik und Film sollten in dieser offenen Stimmung zusammenwachsen. Eine Gruppe von Musikern, Schriftstellern und eine Filmcrew zog quer durch Amerika. Auftritte und Filmszenen sollten so spontan wie möglich gestaltet werden. Dylan war Regisseur, Hauptdarsteller und Musiker. Nach den Bedürfnissen der Hauptfigur befragt, antwortet Dylan: "Eine gute Gitarre und eine dunkle Straße." Klar, es ist die Stimme, die Dylans Sound macht, die Gitarre backt, unterstützt, bietet Schutz vor den inneren Dämonen, dem Dionysischen ... die Gitarre ist die Öffnung, wenn der Kopf zu ist ... dann rutscht was in die Finger ... das Haptische hilft die dunkle Reflexion aufzuhellen ... das Spielen besänftigt den Furor der Unruhe ... die Gitarre ist der Rhythmusgeber ... ("mein Gehör ist besser geworden, und meine Melodien sind rhythmischer denn je, aber ich halte mich immer noch an die dieselben drei Akkorde. Aber ich bin ja nicht Segovia oder Montoya. Ich übe keine zwölf Stunden am Tag.") ... die kleine Form ... der Blues ... drei Akkorde ... Dylan spielt fast immer Blues ... die Gitarre als Waffe ... machine gun (Woody Guthrie/Hendrix) ... (Ich habe immer geglaubt, daß ein einzelner Mann, der eine Balladensänger mit seiner Gitarre, eine ganze Armee von der Bühne jagen könnte, wenn er wüßte, was er tut.") ... die Gitarre bricht die Zeit auf ... sie ist eine Kamera, die die Töne wie durch ein Vergrößerungsglas scharf heranzoomt ... sie ist Dylans Metapher für Musik

... das feedback ... sie ist der Schlüssel zum Paradies ("... das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist", steht bei Kleist über das Marionettentheater, und wie der Tänzer im Marionettentheater, seine ursprüngliche Naivität durch den Blick in den Spiegel verloren hatte, mußte Dylan nach seinem Unfall lernen, das bewußt zu machen, was er vorher unbewußt produzierte) ... Tryin' to get to heaven, before tey close the door ... Die Gitarre und die unending tour ... die Reise um die ganze Welt machen ... heavy strings, tracks für recording angels, die manchmal antworten, wenn Dylan sie anspielt ... ("Musik zieht die Engel des Universums an", sagt Dylan in einem Interview) ... die Gitarre ist auch Stimme ... die zweite ... Grazie ... Naivität & Dylan just a guitar player: "Ich finde Religiösität und Philosophie in der Musik. Und sonst nirgendwo. ... Ich renne keinen Rabbis, Priestern, Predigern und solchen Leuten hinterher. ... Die Traditionals sind mein Lexikon und mein Gebetbuch. Da hab ich all meine Überzeugungen her ... Ich glaube an einen Gott, der über Raum und Zeit herrscht, aber wenn mich einer danach fragt, lege ich ihm diese alten Lieder ans Herz. Ich glaube an Hank Williams, wie er "I Saw The Light" singt ..."

Theo Roos

Bob Dylan zum 65. Geburtstag

Der 65. Geburtstag also – was kann man da wünschen? In seinem Fall doch wohl, dass er heute auf irgendeiner Bühne der Welt stehen möge, dass die Band einen guten Tag hat und er einen Weg in seine Stücke findet. Dass er die Vokale an den richtigen Stellen zerdehnt und zerknautscht, dass er beseelt nuschelt, nölt und heult und dann jene magischen Momente zustande kommen, für die er lebt. Denn für Bob Dylan ist die Bühne „der einzige Ort, an dem ich sein kann“, und Propheten gehen nun mal nicht in den Ruhestand.

Aber: Prophet? Da geht’s schon los. Solche Bezeichnungen verbittet sich der Mann gerne, der Anfang der 60er Jahre kaum zwanzigjährig in New York auftauchte und mit einer Gitarre in der Hand und der Stimme eines Greises vor dem „harten Regen“ warnte, vor den „Herren des Krieges“ und überhaupt allen Menschenverächtern, die behaupten, sie hätten Gott auf ihrer Seite. Doch als ihn die Folk-Fraktion als Protestsänger und „Stimme einer Generation“ vereinnahmen wollte, trat Dylan umgehend die Flucht an. Denn er hatte eine ganz andere Vision, und die schloss Stillstand und Festlegung auf einmal gefundene Formen aus. Fortan änderte er zur Verwirrung der Anhänger seinen musikalischen Stil häufig von einer Platte zur nächsten grundlegend. Zunächst, in seiner genialischen Frühphase, wandte er sich Rock und Blues zu, nach 1966 kamen Country und Gospel hinzu, neuerdings auch Jazz. Kaum jemals in Reinform versteht sich. Schlicht Ehrfurcht gebietend, aber die Vielzahl der lyrischen Formen und Redeweisen. Simple oder verrätselte Liebeslieder gehören dazu, Außenseiter-Balladen und surreale Alptraumszenarien, die kühnsten Metaphern trug Dylan im coolsten Straßenslang vor. Wohlgemerkt: In die Gedichtsammlung gehören selbst große Würfe wie »Like a Rolling Stone«, »Visions of Johanna« oder »Blind Willie McTell« nicht. Denn Text und Musik sind hier untrennbar miteinander verbunden, funktionieren nur als Einheit. Weshalb auch der immer mal wieder angedrohte Literaturnobelpreis zu viel der Ehre wäre – und viel zu wenig, ein grandioses Missverständnis nur. In seiner soeben erschienenen „Gesamtinterpretation“ versucht Richard Klein, dieses irritierend vielgestaltige Schaffen wissenschaftlich-akribisch auf 400, mit reichlich Fußnoten bewehrten Seiten auf den Punkt zu bringen. Die Untersuchungen des Adorno-, Heidegger- und Wagner-Spezialisten fügen den Ergebnissen der zahlreichen eher intuitiv verfahrenden Exegeten jedoch nicht viel Neues hinzu. So stellt auch Klein Dylans wahrlich einzigartige Stimme, die alle Ausdrucksmöglichkeiten vom schneidend kühlen Ton auf »The Times They Are-A-Changin’« über den lässig-blasierten Sound in den apokalyptischen Stücken von »Highway 61« bis zum warmen Organ der »Nashville Skyline« kennt, ins Zentrum seiner Analyse. Es ist ja kein Zufall, dass Dylan seine Stimme mindestens ebenso oft und radikal geändert hat wie den musikalischen Stil und die Art seiner Texte. Es ist ein Maskenspiel, bei dem sich hinter den Masken nichts verbirgt. Denn der jüdische Cowboy, geboren als Robert

Allen Zimmermann und aufgewachsen im Bergarbeiterkaff Hibbing in Minnesota, war insofern stets auf der Höhe des 20. Jahrhunderts, als er dessen grundlegende Skepsis teilte. Ob es sich nun um die Einheit des Individuums handelt, die Möglichkeiten der Kommunikation oder gar um einen verbindlichen Sinnhorizont: Als sicher und für alle Zeiten gültig wird nichts mehr vorausgesetzt, sobald man das Werk als Ganzes sieht. Aber von den Figuren Becketts oder von postmoderner Beliebigkeit trennt ihn, dass er so etwas Altmodisches wie „Wahrheit“ nie verloren gibt, sondern sie sucht, immer wieder und immer wieder in neuen Formen – mal in der Liebe, mal in Religion oder Kunst. Doch was heute zählt, kann morgen wertlos und vergessen sein. Deshalb unterzieht er die Lieder bei seinen Auftritten einer genauen Prüfung, durch teils bis zur Unkenntlichkeit veränderte Arrangements, und vor allem durch eine Stimme, die fast autonom vom Text in jene Tiefen vorzudringen sucht, in denen die Zeit still steht. Diese halsbrecherischen Improvisationen gelingen wahrlich nicht immer, aber es ist letztlich dieses ungebrochene künstlerische Ethos, das Dylan zu einem Mythos hat werden lassen und die quasi-religiöse Verehrung seiner Fans erklärt. Als Prophet eben doch, als einer, der in unseren Wüsten heult wie – in seinen eigenen Worten – „ein Coyote im Stacheldraht“. Richard Klein untermauert diesen Befund durch zahlreiche detaillierte Untersuchungen einzelner Live-Auftritte, die meist nur auf Bootlegs überliefert sind. Als Leser, dem solche Quellen nicht zugänglich sind, muss man ihm glauben, wenn er behauptet, dass die Tourneen zu den – wie Klein gern zugibt – größtenteils komplett missratenen Gospel-Platten um 1980 ihre grandiosen Momente hatten. Auch ist bereits Paul Williams auf demselben Wege zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Die sind bei Williams allerdings nicht so abstrakt und akademisch-trocken formuliert. Dennoch: Für den fortgeschrittenen Bob-Fan mit Steherqualitäten ist das Buch ein Muss. Schon wegen einiger treffender Einzelbeobachtungen. So würdigt Klein den häufig vernachlässigten akustischen Teil der Auftritte im Verlauf der berüchtigten Tournee von 1966 – als Dylan im zweiten, elektrisch verstärkten Teil schon mal als „Judas“ beschimpft wurde – völlig zurecht als künstlerischen Höhepunkt, als ein entrücktes, jenseitiges „Experiment am Rande der Sprache“. Nachzuhören auf der offiziell erschienenen »Bootleg Series Vol. 4«. Klein verdeutlicht anhand der beiden bislang letzten CDs auch, welch überragende Stellung Geschichte und Überlieferung in Dylans Werk haben. Mittlerweile hat sich der Meister offenbar selbst als historische Figur akzeptiert, was die Veröffentlichung seiner autobiographischen »Chronicles« beweist und auch die Mitwirkung an Martin Sorceses Porträt »No Direction Home«. Das ist nicht zuletzt deshalb gelungen, weil sich der Regisseur in annähernd dreieinhalb Stunden in weiser Selbstbeschränkung nur mit den frühen Jahren – bis 1966 – befasst. Ansonsten gilt die Anweisung, die Dylan seiner Band anno ’66 als Reaktion auf die „Judas“-Rufe gab: „Play fuckin’ loud.“

Hans-Willi Hermans
Kölnische Rundschau

OBST-Diskographie

als Komponist und Texter:
OBST Almanach des Jahres 2002
• Aigui / Bonnen Up from the Skies SoLyd records, 2002
OBST Almanach des Jahres 2006
• TR3PANIN Nachtlied