Peter Rühmkorf – Poet |
»Halb Dandy, halb Clochard« Wie Böll und Grass gehörte auch Peter Rühmkorf zu der legendären GRUPPE 47 um Hans Werner Richter. Doch wurde ihm bisher noch kein Nobelpreis zuteil, wenngleich er bereits mit Preisen und anderen Ehrungen – darunter der renommierte Georg-Büchner-Preis – überhäuft wurde. Für den Kritiker Heinz Ludwig Arnold ist er gar "der beste deutschsprachige Lyriker", für andere "halb Dandy, halb Clochard". Seine Gedichte werden als virtuos und schnoddrig charakterisiert und das in einem Atemzug. Rühmkorf verbindet alles und liegt damit quer zu allem und allen. Er hält den Reim hoch und die strenge Form, aber nur um mit ihnen den Inhalt eines Gedichtes zu präzisieren und zu bereichern. Er parodiert, zitiert und persifliert das Alte, um es mit dem Neuen abzugleichen, ihm anzueignen und zu schauen, ob das eine im an-deren Bestand hat; wie in seinem Buch »Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich« (1975). Das Einzelgängertum und das Spöttische verbindet Rühmkorf hingegen eher mit Heinrich Heine, die überraschende Komposition unterschiedlicher Wortfelder und Stilebenen mit Gottfried Benn. Beide sind Vorbilder für ihn und seine Vorläufer für andere. |
Trotz Spott und Formfixierung versteht der Poet, als der Rühmkorf gelten darf, "Kunst als Ausdruck von Lebensproblemen", als "eine Sache, die von Problemträgern gemacht wird und die sich an Problemträger richtet". Dabei fungiert für ihn "der Kopf als ein Stein des Anstoßes, und die beim Zusammenprall mit der wirklichen Welt erzeugten Kollisionsfunken: die notgedrungenen und der Not entgegengesetzten Elementarteilchen des Gedichts". |
Zur ersten Lyrik&Jazz-Veranstaltung kam es 1952 im Hamburger Studentenkeller »anarche«. 1966 wurde sie dann unter den freien Himmel auf den Hamburger Adolphplatz verlegt, was heute als legendär gilt. Mit Leuten wie Michael Naura, Wolfgang Schlüter, Volker Kriegel, Eberhard Weber oder Leszek Zadlo verband Peter Rühmkorf auf diesen Sessions Lyrik mit improvisierter Jazzmusik. In neuerer Zeit, genauer: seit der ersten »Lit. Cologne« 2001, dem jährlichen Kölner Literatur-festival, arbeitet er in ähnlicher Weise mit den beiden OBSTLERN Andreas Schilling und Dietmar Bonnen zusammen. Sie geben Konzerte und bestreiten Rundfunk- und CD-Produktionen, bei denen die Musiker zu den Worten des Dichters ein akustisches Ambiente schaffen. Marcel Jensen |
Der Welt tief ins Auge geblicktZwei Kölner Jazzer und der Lyriker Peter Rühmkorf arbeiten an einer CD Ein großes Glas Wasser hatte er sich ausgebeten, ein kleines Glas Schnaps, dazu einen niedrigen Tisch, auf dem er seine Blätter ausbreiten konnte - und dann legte Peter Rühmkorf einfach los. 25 seiner Gedichte sprach der 75-jährige Lyriker eines Abends während der letztjährigen Lit.Cologne im Tonstudio von Andreas Schilling hoch über dem Stadtgarten auf Band. Dietmar Bonnen ist immer noch begeistert von des Poeten Professionalität: „Okay, das Gläschen wurde einige Male nachgefüllt", erzählt der Pianist und Chef des Kölner „Obst"-Labels lächelnd, ..und er hat sich praktisch überhaupt nicht versprochen. Nur ein paar wenige Stellen mussten wiederholt werden.” Das damalige Fein Tuning macht sich nun für Bonnen und Schillingbezahlt. denn sie arbeiten derzeit an einem CD-Projekt, das Peter Rühmkorfs Dichtung mit ihrer Musik verbindet. Kennengelernt hat man sich, als der gefeierte Lyriker bei der ersten Lit.Cologne 2001 für eine Veranstaltung im WDR Begleitmusiker suchte und ihm von wohlmeinenden Menschen Bonnen und Schilling empfohlen wurden. Rühmkorf, der seit 1952 im Rahmen des Projekts Lyrik-& Jazz immer mal wieder mit improvisierenden Musikern aufgetreten war, wird nicht schlecht gestaunt haben, als die beiden anrückten: Absonderliche Instrumente brachten sie mit, ein Spielzeugpiano und eine elektrisch verstärkte Miniorgel aus den 50er Jahren, vor allem aber andere musikalische Koordinaten als erwartet. „Er wollte uns konkrete Vorgaben machen, wie ,Blues' oder ,Boogie', Sachen halt, die im Kontext der 60er Jahre avantgardistisch waren”, erinnert sich Andreas Schilling, Kontrabassist und Komponist von Filmmusiken, amüsiert. „Ich glaube, er hatte kaum Erfahrungen mit Neuer Musik und war da zunächst mal etwas skeptisch.” Doch die Kölner überzeugten Rühmkorf davon, dass es sich angesichts der Kürze der Zeit empfehle, auf Teile ihres angestammten Repertoires zurückzugreifen. Darunter die „Suite For Toy Piano” von John Cage, aber auch Eigenkompositionen in der eklektizistischen „Obst"-Manier, in denen Einflüsse etwa von Vivaldi, Weill, Brian Eno, Hendrix, Hildegard von Bingen, Beckett oder Daniil Charms verarbeitet werden.
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Elf Gedichte mit schräger Untermalung Dem Dichter, so lässt sich denken, wird es gefallen haben, schließlich verfremdet er selbst - mit gebotenen Respekt zwar, aber auch mit genüsslicher Bosheit - vorgefundene Reim- und Versformen für sei-ne Zwecke. So traf man sich also hin und wieder zu gemeinsamen Auftritten und verabredete schließlich das aktuelle Projekt. In den elf von Bonnen und Schilling komponierten Stücken wird Rühmkorfs stets leicht spöttischem Tonfall keineswegs humoristische oder gar burleske Musik zur Seite gestellt. Auch bei schnoddrig-resignativen Zeilen wie: Wer der Welt ins Auge geblickt hat/ Wird den Mangel an Service nicht persönlich nehmen” spiegelt der Gestus der Musik die tiefe Melancholie in der Stimme des Dichters wider. Der überlässt sich in manchen Passagen einer fast barocken Vanitas-Stimmung: „Am Ende sehnst auch Du Dich nach den Tagen/Die Du jetzt so lieblos verschwendest.” Sehr unterschiedlich sind die Stücke, mal wird eine unbeirrt voran-schreitende Pianofigur von Schillings jazzigem Bassspiel samt Scat-Gesang begleitet, dann wieder taucht ein nach Erik Satie klingendes Klavier-solo auf, das Dietmar Bonnen irgendwann auf einem Konzert Anfang der 90er gespielt hat und nun recycelt. Wobei dieses Solo nach dem Ende von Rühmkorfs Vortrag noch einmal auftaucht - allerdings rückwärts abgespielt: ,Wir haben zwar nur akustische Instrumente verwendet, die dann aber elektronisch bearbeitet”, erzählt Bonnen. Bei Rühmkorfs Zeile „ein paar Schaufeln vom Grab” etwa ist ein seltsames Quietschen neben dem gestrichenen Bass zu hören: „Da habe ich mit einem gusseisernen Topfdeckel über die Saiten gerieben.” Von vornherein war abgesprochen, dass Text und Musik gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten, deshalb sind die instrumentalen Passagen entsprechend lang: „Rühmkorf wollte gerade nicht, dass ein Gedicht dem anderen folgt, weil das auch nicht dem einzelnen Text gerecht würde”, so Schilling. Das Erscheinungsdatum der CD steht noch nicht fest; eine Hör-Kostprobe bietet jetzt der „Obst-Almanach 2006”. Hans-Willi Hermans |
Zum Rühmkorf/Bonnen/Schilling-Projekt: Die Zusammenarbeit von Peter Rühmkorf, Dietmar Bonnen und Andreas Schilling hat ihren Ursprung in einer Live-Veranstaltung zur Litcologne 2001. Die Veranstalter fragten die beiden Kölner Komponisten und Musiker, ob sie den Dichter bei einer Lesung im Sendesaal des WDR begleiten könnten. Rühmkorfs Auftritte aus den sechziger Jahren, in denen er seine Lyrik von Jazzmusikern wie Johnny Griffin, Albert Mangelsdorf oder Charly Haden begleiten ließ, waren noch in guter Erinnerung und legten es nahe, diese Veranstaltung mit improvisierter Musik zu kombinieren. Bonnen und Schilling hatten schon oft gemeinsam improvisiert, und es gab auch CD-Veröffentlichungen davon. Allerdings waren das keine Jazz-Improvisationen sondern eher experimentelle ad-hoc-Kompositionen. Diese kamen den Wünschen des Dichters nach zeitgemäßeren Ausdrucksformen entgegen; es sollte eben nicht wie damals klingen. „... am besten überschaubare, in sich geschlossene Piècen, auch Capriccios wären nicht unwillkommen.“ Man traf sich also in Köln und die Lesung wurde ein großer Erfolg: Die beiden Musiker komponierten ad hoc auf Flügel, Kontrabass, Kinderklavier und Hohner-Örgelchen. Peter Rühmkorf war begeistert und lief zu rezitatorischer Höchstform auf, der WDR sendete ungeschnitten. Dies war der Anfang einer produktiven Freundschaft, deren letztes Arbeitsergebnis die vorliegenden Aufnahmen sind. Zunächst rezitierte Rühmkorf eine Auswahl seiner Gedichte im Studio auf Band. Dazu entstand dann die Musik von Bonnen und Schilling sorgfältig „maßgeschneidert“ um die Lyrik herum-, darunter- und daraufkomponiert. Das Instrumentarium beschränkt sich auf Klavier, Kontrabass und Schlagzeug (das klassische Jazz-Trio!), diese werden jedoch im erweiterten Sinne als Klangquelle eingesetzt und damit von den Fesseln ihrer Spielbarkeit befreit: So wurden etwa Metallgeräusche aus dem Inneren des Flügels aufgenommen, die Aufnahmen dann im Computer „zerschnipselt“, die Schnipsel rhythmisiert, Flageolet-Töne vom Kontrabass mehrstimmig darüber montiert, u.s.w. Wichtig ist dem Dichter, dass die Musik gleichberechtigt zu den Texten bestehen kann, wie eine "klassische" Gedichtvertonung mit den neuesten technischen Studiomöglichkeiten; vor allem aber soll viel Raum für die Atmosphäre der Stücke vorhanden sein und keine Text-an-Text-Aufreihung entstehen. Nachdem Dichter und Komponisten/Musiker mit allen Stücken rundum zufrieden waren, konnte die hier vorliegende Reihenfolge erstellt und die CD gemastert werden. Bonnen/Schilling |
OBST-Diskographie |
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als Dichter und Sprecher:
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