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Michael Rüsenberg – Essay

Michael Rüsenberg

Warum soll ich 'rumbasteln,
wat Neues machen?
Lieber gut geklaut
wie schlecht wat Neues!

Willy Millowitsch

Von der Klangreportage zur Klangerinnerung

Ich war noch nicht lange für die Idee »Soundscape« klimatisiert, als sich die Notwendigkeit ergab, meiner Tätigkeit einen Begriff zu geben. Ein Label war vonnöten, das dem Frischling bescheinigt, nicht gänzlich sinnlosen Bemühungen nachzugehen und das ihn zugleich von dem Verdacht befreit, er wolle mit den Großmeistern in derselben Liga spielen. Mir fiel der Begriff »Klang-Reportage« ein. Darin schwingt weniger »ars acustica« mit als vielmehr ein journalistischer Oberton.

Lange schon faszinieren und inspirieren mich nämlich Zeitungsreporter, von Altvater Egon Erwin Kisch bis zu den Meistern auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung (auch an Arbeiten eines Roger Willemsen, lange bevor er den Übereifrigen im Fernsehen gab, erinnere ich mich gerne). Die Reportage, so habe ich in meine Hörfunk-Arbeit übersetzt, schildert ein Ereignis, indem sie einen räumlich und zeitlich exakt definierten Ausschnitt wählt. Sie ist gut, wenn ihr Gegenstand was hat, und wenn sie handwerklich auf der Höhe ist ... und wenn sie Dinge zu fokussieren vermag, die auch außerhalb ihrer Brennweite von Bedeutung sind, wenn sie also im Kleinen zeigen kann, was auch im Großen existiert. Die Reportage mag repräsentativ sein, aber nie vollständig, sie darf subjektiv sein, aber nie willkürlich. Reportage ist nicht Wissenschaft, Fußnoten sind ihr fremd, auch das Immunisieren gegen Kritik, indem man auf Sprachstelzen die brisanten Regionen durchwatet.

Gute Reporter vermögen mich schon dadurch, wie sie etwas darstellen, zur Lektüre dessen zu animieren, was mich bis dato nicht interessiert hat. Selbst von Urvater Kisch freilich ist enthüllt, daß seine Reportagen nicht immer in der Tonart seiner Wahrheitsfanfare geschrieben waren.

So what, Klangreportage?
Was den Begriff vor allem in Bedrängnis bringt: der Fotograf, der den Großvenediger aufnimmt (Wildbach vorn, Tannenwald halb rechts, der Gletschergipfel hinten) liefert einen wesentlich aussagekräftigeren Schnappschuß als der Tonmensch, der an derselben location sein Mikrofon aufbaut. Ja, was rauscht und gurgelt denn da?

Karl K. (»Schule des Hörens«), mit dem ich beiläufig darauf zu sprechen kam, parierte sogleich mit dem treffenden Stichwort: der geringeren semantischen Qualität des Akustischen. Ähnlich las sich der US-Musikphilosoph Peter Kivy (»Music Alone«, Ithaca 1990): "Klängen linguistische Bedeutung abzugewinnen, erfordert weitaus mehr Information als visuelle Stimuli als Objekte in der Welt zu interpretieren." (Far more information is required to make sounds linguistically meaningful than to make visual stimuli interpretable as objects in the world.)

Klangreportage. So What?
Nun gut, ihre Ansprüche sind bescheidener als die der Seite Drei - und doch vermag sie ihre Abnehmer nicht minder zu fesseln. Die Klangreportage gibt Zeugnis von einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Sie ist impressionistisch, sie verdichtet subjektive Eindrücke. Sie muß sich nicht auf eine dokumentarische Funktion zurückziehen. Imagination, ja Tagträumereien sind ihr lieb; oft reizt es sie, ihr Material nach musikalischen Kriterien zu ordnen, wohlwissend, daß sie sich dabei im "as if"-Modus bewegt, wie ihn Peter Kivy bezeichnet: "Ein natürliches Objekt kann logischerweise keine syntaktischen Eigenschaften besitzen, sei es ein Vogel-"Lied" oder sonst irgendwas." Im Grunde appelliert die Klangreportage an den Zuhörer: Ähnliches hättest du ebenso gut an meiner Stelle erfahren können! Damit steht sie in enger Verwandtschaft zu dem in Soundscape-Kreisen bestens eingeführten »soundwalk«. Wie dieser propagiert sie keine exklusiven Höreindrücke, sondern folgt einem Motto von Murray Schafer: »Soundscape: A Theme in which everyone can participate.«

Wie der soundwalk führt auch die Klangreportage Deskriptives im Titel; andernfalls verzichtet sie nicht auf verbale Zusätze, u.a. weil sie den Verdacht nicht los wird, daß in Soundscape-Kreisen der visuelle Aspekt bei Produktion und Post-Production vielfach unterschätzt und der Bedeutungsgehalt der Klänge überschätzt wird.

Der Klangreporter hingegen weiß, daß seine Arbeit in allen Stadien auch nicht-klanglich infiziert ist, daß in der "Rekonstruktion der Atmosphäre" eines Ortes, eines Zustandes, optische und akustische Stimuli post facto mitunter schwer auseinanderzuhalten sind.

Manchmal bestehen seine ästhetischen Probleme ja darin, akustisch zu belegen, was nicht rein akustischer Erfahrung entspringt. Manchmal ist auch einfach nix los. Das forum romanum z.B., wo der Visualist einem Sinnestaumel zu erliegen droht ... der Klangreporter verläßt es total frustiert, weil außer hauptstädtischer rush hour nichts an seine Ohren dringt. Und die Einflüsterungen der Inneren Stimme - deren Verstärkung überläßt er lieber dem Komponisten ...

... Moment mal! Haben Sie das gehört? Ein trockenes Rattern!
In diesem Augenblick trifft ein Fax aus dem Bergischen Land ein, das unseren Klangreporter doch arg ernüchtert, von Christoph Reinecke, der an der Uni Wuppertal über tape music promoviert hat. Alles schon mal dagewesen! Klangreportage? Aber hallo, 1978 war Luc Ferrari in Algerien für »reportages sonores« unterwegs, u.a. auf Schallplatte veröffentlicht!

"Ferrari montiert hier akustische Bilder, die einen ereignisreichen Tag in einer Wüstenstadt Algeriens wiedergeben und die der Komponist (Ferrari ist trotzdem einer. Anm: MiRü) als "promeneur" durchstreift. Er übernimmt hier die Rolle eines Beobachters, Berichterstatters, der alles, was sich an akustisch Reizvollem zeigt, festhält." schreibt Reinecke.

Unser Klangreporter stößt sich nicht an dem Verb, wonach akustisch Reizvolles sich "zeigt", er überfliegt weiter das Thermopapier. 1969 habe Ferrari in »Music Promenade« "mittels einer mixage original das Material so arrangiert, wie es ist."

Ist das nicht dem »mixing on the spot« verwandt, womit unser Klangreporter die Momente zu bezeichnen pflegt, wo das Klangmaterial am Aufnahmeort sich besser mischt, als es eine Postproduction je vermöchte? Oder hier: Ferrari spreche von einem »diapositive sonore«; ist das nicht eine enge Verwandte von »Klangpostkarte« und »Klangpolaroid«? Noch schöner: "Ich wünschte mir, daß die Leute, die meine anekdotischen Stücke hören, nicht in Ehrfurcht und Anbetung erstarren, sondern sich sagen: das kann ich auch ... Schließlich knipsen sie Urlaubsfotos und drehen Ferienfilme; ebenso gut können sie doch ihre Eindrücke in Hörbildern festhalten." (Ferrari)

Und damit wären wir bei einem anderen Säulenheiligen unseres Klangreporters, bei Jim Metzner und dessen Klangerinnerungen, den »sound memories«. Sie basieren exakt auf jenem "Jeder kann das": jeder vermag sich an einen Klang zu erinnern, der für ihn/sie von Bedeutung war/ist. Die subjektive Semantik der Klänge, von der uns Karl K. und Peter K. überzeugt haben, sie wird hier aufs Schönste in immer neuen Varianten offengelegt. Aufgabe des Klangreporters bleibt lediglich, die Probanden zum Sprechen und ihre Klangerinnerungen auf Tonträger zu bringen.

Auf den Brokatmantel kann er dabei verzichten.

Michael Rüsenberg

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