Michael Rüsenberg Frank Zappa |
Das Genie als
Spaltpilz – Frank Zappa zum 60. MR: Einen Kommentator musste man bei der amerikanischen Präsidentenwahl des Jahres 2000 schmerzlich vermissen. Es ist die Stimme des Mannes, dem Wahlen und Wählen geradezu eine Obsession waren. Der sich 1985, als ein gewisser Al Gore Senator von Tennessee war, mit diesem und vor allem mit dessen Gattin Tipper Gore angelegt hat. Damals ging es um die drohende Zensur von Song-Texten. Dieser Mann ist 1993, im ersten Jahr der Vizepräsidentschaft von Al Gore, verstorben. Und man wüsste wirklich allzugerne, was Frank Zappa zu der Tatsache eingefallen wäre, daß Tipper Gore nur knapp 600 Wählerstimmen vom Status einer "first lady" entfernt war. Ganz zu schweigen davon, mit welchem Zähneknirschen ZAPPA die Gores den Bush's – vermutlich – vorgezogen hätte. ALI N ASKIN: Also, der Ruf hat sich schon gewandelt. Ich erinnere mich noch an die 70er Jahre, auch noch Anfang der 80er Jahre, wo er noch in aller Munde war. Er war ein ganz großer Name, der alle möglichen Hörer auch beeinflußt hat. Die Stücke waren bekannt. Die Zitate wurden überall nur so gehört. Und das hat sich gelegt, und er ist mehr jetzt ein anerkannter Komponist geworden, der von vielen, vielen Orchestern in der Welt gespielt wird. Also die Aufführungen z.B. in Amerika von College Bands, die Stücke von Zappa aufführen, ist irrsinnig hoch. Also es hat sich verlagert von dem – wunderbares Wort – sogenannten "Bürgerschreck" hin zum klassischen Komponisten, der auch anerkannt ist von vielen klassischen oder von Musikern aus dem Jazzbereich. Ja, es ist eine ganz starke Änderung. Ich finde es ein bißchen schade, daß er nicht mehr so im Bewußtsein ist. Weil viele Ideen, viele Verfahrensweisen, die er damals zum ersten Mal gemacht hat – man denke nur irgendwie an Videoclips z.B.; die Idee, was er in »200 Motels« gemacht hat: auf Video zu drehen, auf Film umzukopieren – das sind unheimlich viele Sachen, die jetzt gang und gäbe sind. Aber vergessen sind, daß er so mit einer der ersten war, die so gearbeitet haben. MR: Ali N Askin, geboren 1962 in München; niemand in Deutschland kennt die Musik Zappas besser als er. 1992 – bei »The Yellow Shark« – hat Askin ein halbes Dutzend Stücke von ihm arrangiert. In der zweiten Staffel im Jahre 2000 – »Greggery Peccary & Other Persuasions«, wiederum mit dem ENSEMBLE MODERN – stammen sämtliche Arrangements von ihm. Und wir wollen Ali N Askin dankbar sein, daß er den beliebten Begriff des Bürgerschrecks in deutliche Anführungszeichen gesetzt hat. Denn zumal in Deutschland wird Zappa's eigene Standortbestimmung aus dem Jahre 1989 gerne übersehen, die in eine ganz andere Richtung weist. ZITAT ZAPPA: Politisch halte ich mich – bitte nicht lachen – für einen praktischen Konservativen. MR: Ein kleiner Querschnitt für die Beliebtheit des Komponisten Frank Zappa in der heutigen Kammermusik: »The Idiot Bastard Son«, zunächst in der Fassung vom ENSEMBLE AMBROSIUS, dann Dietmar Bonnen und Consuelo SaÑudo aus Köln, sowie Diego Conti und Monica de Matteis aus Italien. |
MR: Die Fantasie der Arrangeure kennt keine Zurückhaltung
mehr. Selbst die wildesten Rockmusik-Stücke lassen sich völlig
umdrehen – ohne ihren Zappaesken Charakter zu verlieren. Am weitesten
geht dabei wohl das ENSEMBLE AMBROSIUS aus Finnland. Es interpretiert Zappa – hier »Echidnas
Arf« – auf Barock-Instrumenten. Gefolgt von den Blechbläsern
des MERIDIAN ARTS ENSEMBLE aus New York, die 1993 noch die Chance hatten,
am Krankenbett des Komponisten ihre Arrangements vorführen zu können. |
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eine Ur-Version ist bei ihm niemals etwas, was man von herkömmlichen, konventionellen klassischen Komponisten her kennt. Für ihn gibt es nur ein Ur-Material, das immer wieder in neuen Zusammensetzungen oder neuen Bearbeitungen, neuen Versionen existiert, existieren kann. D.h. es gibt keine Urtext-Ausgabe vom Verlag Henle, und das ist es dann, und das ist das Stück, das Werk. Sondern es gibt ein Material, das immer wieder in Frage gestellt wird, immer wieder neu bearbeitet wird und immer wieder in neuen Gestalten auftaucht. D.h. von »Black Page« gibt es 3, 4, 5 Versionen auf seinen Platten. Und wir haben natürlich jetzt erst mal die bekannteste genommen, die auf dem New York-Album, und ich habe versucht, das in diesem Geiste zu arrangieren, weil es einfach meine Lieblings-Version von dem Stück ist. Und obwohl da jetzt nur 2 Perkussionisten auf der Live-Aufnahme mitspielen, gibt's da unzählige Overdubs. D.h. es sind mehr als 10 Leute, die da gleichzeitig spielen. Und das war dann letztenendes auch die Idee, warum wir das mit 5 Leuten spielen im Ensemble. So haben wir 3 Perkussionisten, die dann wiederum ergänzt werden von 2 Extraspielern, die Röhrenglocken und große Trommel bedienen. Und das war natürlich Vorbild, ganz klar. »Black Page«, die Aufnahme ist ein Vorbild. Und auch die Wucht und die Kraft, die die Live-Version der Rockband auf dieser Aufnahme hat, war ein Vorbild, war ein Ideal, was ich auch gerne mit dem Ensemble so erreichen wollte.-MR: Im Gegensatz zu diesen spontan geäußerten Impressionen müßte eine fundierte Kritik an der Musik Zappas sicher anders vorgehen. Das ist inzwischen hinreichend der Fall, Frank Zappa ist zu einem Lieblingssujet etlicher Musikwissenschaftler avanciert. Eine der jüngsten Veröffentlichungen stammt von dem Amerikaner Jonathan W. Bernhard, »Listening to Zappa«. Eine von Bernhards Thesen eignet sich insbesondere, Ali N Askin vorgelegt zu werden, weil dieser neben Zappa für das ENSEMBLE MODERN auch einen weiteren Komponisten mit genre-übergreifender Ästhetik betreut, nämlich Heiner Goebbels. ZITAT BERNHARD: Auch die "avanciertesten" Stücke Zappas für akustische Konzert-Ensembles – und darunter wollen wir verstehen: diejenigen mit dem höchsten Anteil an Dissonanz und den geringsten Anspielungen an Tonalität – auch diese Kompositionen sind vergleichsweise konservativ, jedenfalls gemessen am Zeitpunkt ihres Entstehens. Dies ist keineswegs als Abwertung von Zappas eigener Art von "Fusionen" zu verstehen, sondern soll lediglich betonen, daß er als Komponist zwar eine originelle Stimme besitzt, aber sich in einer Spache artikuliert, deren Elemente uns keineswegs unvertraut sind. ALI N ASKIN: Zappa war im Hinblick auf das Schreiben für klassische Musiker sehr konservativ. D.h. der Stand orchestrationsmässig und auch von den Texturen her hat kaum den Varese-Level eigentlich verlassen. Es gibt von ihm keine Stücke, wo eben ein Sampler benutzt wird, oder auch die Überlegung, das Synclavier mit dem Orchester zu kombinieren – sowas gibt's eigentlich bei ihm nicht. Er ist eigentlich viel radikaler mit den reinen Synclavier-Stücken. Das ist richtig. Michael Rüsenberg |
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