Die Wolke des Vergessens – Bonnen |
Die Wolke des Vergessens Bassklarinette: Lothar Burghaus Aufnahme am 13. Juni 2006 im Loft, Köln: |
Sabine Büttner und Peter Hölscher treffen sich auf dem Cover des achtseitigen Einlegers |
Komposition, zusammengesetzt aus 6 Klangbildern
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Etwas ist anders im „Loft“, heute Abend. Abstrakte, längliche Farbfotografien liegen auf den Notenpulten aus. Auf ein Zeichen von Peter Hölscher, der neben der Digitaluhr im Rücken der Zuhörer steht, beginnen die fünf Musiker mit einer freien Improvisation. Immer den Blick auf das Foto gerichtet und stets die Markierungen am oberen Bildrand beachtend. Die teilen das Bild nicht nur optisch in gleich große Einheiten auf, sondern dienen auch als zeitlicher Anhaltspunkt: Zehn Sekunden verweilen die Instrumentalisten jeweils in einem Abschnitt, dann geht’s weiter zum nächsten. So ist gewährleistet, dass alle fünf stets im selben Film sind. „Das war ganz schön anstrengend“, sagte Schlagzeuger Tom Gerke anschließend. „Wir mussten abwechselnd das Foto und die Uhr im Auge haben und gleichzeitig hören, was die anderen spielen.“ Leicht ist es eben nicht, wenn man sich mit Synästhesie beschäftigt, einem Menschheits- oder zumindest Künstlertraum, der so alt sein dürfte wie der Traum von der Quadratur des Kreises. Denn Synästhesie, die Verbindung verschiedener Sinnesbereiche also – wie Hören, Sehen, Riechen oder Schmecken –, etwa nach dem Motto: „Wie klingt denn dieser Blauton, welche Farbe hat dieser Orgelklang?“, verführt allzu leicht zu ausufernden Experimenten mit Beliebigkeitsexzessen. Wohltuend daher der im „Loft“ gewählte, formal sehr strenge Ansatz: Die fünf Instrumentalisten improvisierten mit Piano, Bassklarinette, Flöte, Altsaxophon und Schlagzeug jeweils exakt drei Minuten lang über insgesamt fünf, klar in „Zeitphasen“ unterteilte Fotografien. Die Idee dazu entstand eher zufällig: Pianist Dietmar Bonnen hatte im Sommer vier befreundete Musiker zur Session ins „Loft“ eingeladen, dazu die Malerin Sabine Büttner und den Fotografen Peter Hölscher. Der hatte es schwer: „Der Raum war stark abgedunkelt, außerdem sollte ich keine Porträtaufnahmen von den Musikern machen. Kein Licht, keine Porträts als Motiv - das ist für einen Fotografen natürlich der Knaller.“ Daher öffnete Hölscher einfach seine Blende für ein bis fünf Sekunden, „und ließ rein was immer im Raum war.“
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Die Ergebnisse inspirierten Bonnen und Hölscher: Flächige Strukturen waren entstanden, häufig durchzogen von starren oder geschwungenen Linien und Strichen, insgesamt nicht unähnlich jenen grafischen Notationen, die der Komponist György Ligeti zuweilen den Instrumentalisten statt der herkömmlichen Noten als Vorlage für ihr Spiel gibt. So trafen sich die beteiligten Musiker erneut im „Loft“, um einige dieser Fotos von ihrer Sommer-Session wieder in Musik zurückzuverwandeln. Sehr behutsam ging es da zu, weniger um Tonfolgen und Läufe, als um die Klangfarben der einzelnen Instrumente, die mit wechselnder Dynamik eingesetzt wurden. Vom tonlosen Blasen ins Mundstück der Flöte bis zum energischen Anschlag eines Klavier-Akkords reichte das Spektrum, subtil bezogen sich die einzelnen Instrumentalisten auf das Gesamtgeschehen, so dass ungemein dichte, dabei sehr zart wirkende Klanggebilde entstanden. Aber damit nicht genug: Nach dem ersten 15-minütigen Zyklus drehten die Musiker die Fotografien einfach auf den - abstrakten - Kopf und fingen von vorn an. Diesmal konnten sie auch die Instrumente frei wählen. So kamen Alt- und Piccoloflöte, Akkordeon, Bariton- und Tenorsax zu Einsatz, Gerke, der beim ersten Durchgang nur mit den Becken arbeiten durfte, nutzte nun sein ganzes Schlagwerk. Das Ergebnis klang ähnlich verhalten und hochkonzentriert wie im ersten Teil. Eine Zugabe kam natürlich nicht in Frage, dafür wird das Konzert, wie die Original-Session unter dem Titel „Die Wolke des Vergessens“, demnächst auf Bonnens CD-Label Obst veröffentlich. Und das Experiment geht weiter: Claudia Betzin fertigte während des Konzerts Wachszeichnungen zu den beiden 15-Minuten-Zyklen an. „Wäre doch denkbar, dass wir zu diesen Zeichnungen wieder improvisieren“, meinte Klarinettist Lothar Burghaus. Hans-Willi Hermans |