Bonnen spielt |
Anmerkungen zu Bonnens Orgelprojekt In Airwaves (1980) von Heinz-Dieter Willke (*1956) dominieren minimalistisch geprägte Repetitionsformeln, die zu einer pulsierenden Klanglandschaft verwoben werden. John Cage (1912-1982) verfaßte vor seinem Studium bei Arnold Schönberg eine Serie von "chromatisch strukturierten Stücken" mit der kompositorischen Zielvorgabe, "Wiederholungen der 25 Einzeltöne innerhalb eines Umfangs von zwei Oktaven so weit wie möglich hinauszuzögern". Dieser Reihe zuzurechnen ist neben »Composition for Three Voices« auch Solo with Obbligato Accompaniment of Two Voices in Canon, and Six Short Inventions on the Subjects of the Solo (1933/34): "Obgleich jede der drei Stimmen dieselbe Lage verwendet, bringt keine eine Wiederholung, ehe nicht alle 25 Töne erschienen sind" (Cage). Die einzelnen, frei zu instrumentierenden Stimmverläufe werden in der vorliegenden Version von Orgelklängen unterschiedlicher Prägung (Kirchen- bzw. Hammondorgel, synthetischer Orgelklang) dargestellt. Der Wahlkölner Hermann Schroeder (1904-1984) veröffentlichte die Sechs Orgelchoräle über altdeutsche geistliche Volkslieder im Jahre 1934. Über die vierte Choralbearbeitung »Christ ist erstanden« schreibt der Musikwissenschaftler R. Mohrs: "Was dieses 1932 entstandene frühe Stück bereits als zeitgenössische Orgelmusik kennzeichnet, ist zunächst die Überwindung der spätromantischen Harmonik durch eine an den Kirchentonarten orientierte, diatonische Tonalität (...). Dazu kommen als weitere zeitgenössische Stilmerkmale die Vorliebe für Ostinatotechnik (Pedal), rhythmische Motorik (linke Hand) und eine herbe Harmonik, die das Ergebnis konsequenter Linearität der Einzelstimmen ist und die für Schroeder typischen Parallelführungen von Quart- und Quintklängen aufweist." Einem ähnlichen Kompositionsprinzip wie in »Solo with...« (s. o.) folgend, erfährt John Cages Composition for Three Voices (1934) in der Fassung Dietmar Bonnens klangliche Transparenz und Tiefenwirkung durch die Auffächerung der identisch instrumentierten Einzelstimmen in unterschiedliche Hallräume. Paul Hindemith (1895-1963) schrieb die Sonate III für Orgel über alte Volkslieder zu Beginn seines amerikanischen Exils, 1940. Im mäßig bewegten ersten Satz über das Lied »Ach Gott, wem soll ich's klagen« erklingt der mit dem polyphonen Stimmengeflecht des Manuals kontrastierende cantus firmus zunächst im Pedal (12/8), bevor die nunmehr in der Oberstimme geführte Melodie in ihrer Originalgestalt (4/4) zum Tragen kommt. Es folgen ein langsamer Mittelsatz (»Wach auf mein Hort«) und das ruhig bewegte Finale (»So wünsch ich dir«) mit cantus firmus im Tenor bzw. Baß. Hindemiths extreme Dynamikvorgaben werden hier auf musikelektronischem Wege bei gleichbleibender Klangfarbe (ohne Registerwechsel) optimal umgesetzt. Der 1923 in Siebenbürgen geborene György Ligeti greift in Coulée (1969) auf Techniken seines ein Jahr zuvor komponierten, hochvirtuosen Cembalostückes »Continuum« zurück: Polymetrische Überlagerungen im Prestissimo dahinrasender, sich bezüglich ihres Ausgangsmaterials nur allmählich wandelnder, feingerasterter Repetitionsfragmente, schaffen fließende Übergänge, lassen die Bewegung der Einzeltöne beinahe zu einem Klangkontinuum verschmelzen. Die Orgelkomposition Adeste fidelis des amerikanischen Komponisten Charles Ives (1874-1954) über den gleichnamigen Hymnus wird eingeleitet von einem B-Moll Akkord im dreifachen Piano, dem sich im zweiten Takt die Umkehrung der Hymnenmelodie hinzugesellt. Im weiteren Verlauf korrespondiert die im Fortissimo intonierte Originalgestalt der Melodie mit der parallel hierzu geführten Umkehrung. Ein auf Motiven des Hymnus basierendes akkordisches Nachspiel beschließt Ives' kurzes Orgelstück, dessen Uraufführung während eines Weihnachtsgottesdienstes 1898 in Bloomfield stattfand. Damals notierte der Komponist: "Pfarrer J. B. Lee, andere und Frau Uhler sagten, es sei schrecklich gewesen." Polymetrische Überlagerungen der chromatisch geprägten, nach dem Bauprinzip einer strengen Fuge verlaufenden Einzelstimmen, gekoppelt mit hohem Aufführungstempo, verleihen Isthmos (1989) von Michael Lerner (*1958) einen Komplexitätsgrad, der die Realisation mit Unterstützung computergesteuerter, elektronischer Klangerzeuger geradezu herausfordert. Verdichtungen zu Clustern bewirken dramaturgische Höhepunkte. Mit Souvenir (1983) schafft John Cage ein Orgelstück von bemerkenswerter Klangschönheit, welches durch die integrative Verknüpfung homophoner, polyphoner wie clusterartiger melodischer bzw. akkordischer Strukturen besticht. Andreas Schilling (*1957) entwickelt in seiner ursprünglich für großes Orchester konzipierten Komposition Großes Termitenballett für 3 Orgeln zu 4 Händen (1990) ein in seinem Dichtegrad variierendes Klanggeflecht. Die über weite Strecken fluoreszierende Wirkung resultiert aus der Vernetzung individuell geformter (jeweils mit einem festen Platz im Stereopanorama bedachten) Einzelstimmen. Letztere verfolgen in Analogie zu den Lebensgewohnheiten der im Titel angesprochenen Protagonisten des Stückes "Jede Ihren speziellen Weg" (Schilling), korrespondieren jedoch zuweilen miteinander in tänzerischer Synchronität, gleichsam einem imaginären Termitenballett. Ernst Gaida-Hartmann (*1957) schreibt über sein im Jahre 1991 kreiertes Perpetuumobile "Anfangs als Orgelkomposition (Form: A, B, A, B, A/B) noch leicht nachvollziehbar, wird im weiteren Verlauf klar, daß dieses Stück weder von einem, noch von zwei Interpreten an einer Orgel gespielt werden kann. Aufgrund der Stimmenverteilung ist es nach traditionellen Maßstäben ebenfalls ungeeignet für zwei Spieler an zwei Orgeln. Das Werk stellt sich sowohl als Orgelstück in Frage wie auch den Gegenstand, den es beschreibt, das fiktive 'Perpetuum Mobile'." Letzteres wird gegen Ende deutlich an den sich sukzessive lückenhafter gestaltenden Stimmverläufen der beiden nunmehr übereinandergelagerten Hauptteile (A/B): "Die gesamte Bewegung gerät allmählich ins Stocken, wird immer bröckeliger, bis es zum endgültigen Stillstand kommt, der ironischerweise durch eine Dur-Auflösung vollzogen wird." |
"Jetzt arbeite ich an sehr, sehr einfachen, kinderleichten Choralvorspielen für die Orgel", notiert Max Reger (1873-1916) anläßlich seiner kompositorischen Arbeit an den Dreißig kleinen Choralvorspielen (zu den gebräuchlichsten Chorälen) op.135a im September 1914. »Aus tiefer Not schrei ich zu Dir« gestaltet sich als Wechselspiel von Melodieabschnitten des cantus firmus und deren Imitationen in harmonisierter Form. An die Stelle herkömmlicher Orgelregistrierungen treten in der vorliegenden Aufnahme Synthesizerklänge (u.a. aus dem legendären "Minimoog"). Heinz-Dieter Willke
Commentary on Bonnen's Organ Project The mainly linear or polyphonically constructed repertoire presented on this CD seems ideally suited to Bonnen's endeavor to put computer controlled electronic sound sources to the service of the interpretation of contemporary (organ) music. It is of particular importance in the realization of such many-layered, often extremely intricate compositions (in some cases unplayable on a conventional church organ), that the highest possible degree of aural transparency be obtained. The possibilities of electronic manipulation offered by modern studio techniques can be of considerable use in the achievement of this end. For example, by differing the amount of reverberation on simultaneously sounding voices, they can be positioned at varying distances from the listener. The spectrum of the pieces recorded here ranges from original organ compositions (Ives, Reger, Cage, Schroeder, Hindemith, Ligeti, Willke) through pieces for unspecified instrumental combinations (Cage) to pieces specially composed for this project (Lerner, Schilling, Gaida-Hartmann). Heinz-Dieter Willke's (*1956) Airwaves, composed in 1980, is dominated by minimalistic repeated patterns woven into a pulsating soundscape. Even before his studies with Schönberg, John Cage (1912-1992) composed a series of "chromatic pieces" in which his aim was to keep "repetitions of the 25 individual tones within a two-octave span as far apart as possible". Solo with Obbligato Accompaniment of Two Voices in Canon, and Six Short Inventions on the Subjects of the Solo (1933/34) belongs to this series. "Although each of the three voices employs the same range, none introduces a repetition until all 25 tones have appeared", Cage wrote of these pieces. In this realization, each of the unspecified instrumental parts is given a particular kind of organ sound (church or Hammond organ, synthetic organ sound). Hermann Schroeder (1904-1984) published his Sechs Orgelchoräle über altdeutsche geistliche Volkslieder in 1934. The musicologist R. Mohrs wrote of the fourth chorale adaptation, »Christ ist erstanden«: "The primary feature of this early piece, written in 1932, which raises it to the category of contemporary organ music is the rejection of late romantic harmony and its replacement by a diatonic tonality based on church modes. Further contemporary characteristics are a predeliction for ostinato technique (pedal), driving rhythm (left hand) and an austere harmonic language resulting from the consistent linearity of the separate voices and the use, typical for Schroeder, of parallel fourths and fifths." John Cage's Composition for Three Voices (1934), constructed on a similar compositional principle as »Solo with...« (see above), achieves, in Bonnen's version, a transparency of sound and an effect of depth by each voice having the same instrumentation but a different amount of reverberation. Paul Hindemith (1895-1963) wrote his Sonate III für Orgel über alte Volkslieder in 1940 at the beginning of his exile in America. In the first movement, in moderate tempo, based on the song »Ach Gott, wem soll ich's klagen«, the cantus firmus first appears in the pedal (12/8) contrasting with the interwoven voices of the manual's polyphony, before continuing in the upper voice in its original form (4/4). A slow middle movement (»Wach auf mein Hort«) follows and then the calmly flowing Finale (»So wünsch ich dir«) with the cantus firmus appearing in either the tenor or the bass. Using the devices of electronic music, it was possible to realize to optimal effect Hindemith's extreme dynamic indications without changes of registration. In the composition Coulée (1969) György Ligeti (*1923) returned to the techniques he had used in his highly virtuosic »Continuum« for harpsichord a year earlier. The polymetric juxtaposition in prestissimo of gradually changing, finely structured repeating fragments create smooth transitions and causes the movement of the individual notes to melt almost into a continuum of sound. The organ piece Adeste fidelis by the american Composer Charles Ives (1874-1954), based on the hymn of the same name, is introduced by a B flat minor chord in ppp, the inversion of the hymn-tune entering in the second bar. Later in the piece, the melody in its original form, played in fortissimo, and the inversion occur simultaneously. A chordal coda based on motives from the hymn ends this short piece which was first performed during a Christmas service in 1898 in Bloomfield (USA). "Vicar J. B. Lee, others and Mrs Uhler said that it was terrible", remarked the composer at the time. The polymetric superposition of the separate, highly chromatic voices according to the rules of a strict fugue and the breathtaking tempo lend Michael Lerner's (*1958) Isthmos (1989) a degree of complexity which invites a realization using computer-controlled means. Dramatic climaxes occur at points where the increasing density results in the formation of clusters. In Souvenir (1983), John Cage has created an organ piece of remarkable beauty, seducing the listener with its perfect integration of homophonic, polyphonic and cluster-like melodic and harmonic structures. In the composition Großes Termitenballett für 3 Orgeln zu 4 Händen (Great Termite Ballet for 3 Organs, 12 Hands) (1990) Andreas Schilling (* 1957) constructs a sound texture of varying densities. An effect of fluorescence is achieved over long passages by the intertwining of individually shaped voices, each having a fixed place in the stereo-panorama. In analogy to the habits of the protagonists mentioned in the title of the piece, each voice follows "its own special path" (Schilling), occasionally combining with another in dance-like synchronization, as in an imaginary ballet of termites. Writing about his Perpetuumobile composed in 1991, Ernst Gaida-Hartmann (*1957) says: "Although at the beginning one can imagine this to be a normal organ composition (form: A, B, A, B, A/B), it becomes increasingly clear as it continues that the piece cannot be played by one or even two performers on one organ. Because of the distribution of the voices, it is, by traditional standards, just as unplayable by two performers on two organs. The work calls in question its own validity as an organ piece as well as that of the object it describes - the fictitious 'Perpetuum Mobile'." The latter case becomes obvious at the end where successively more and more gaps disturb the flow of parts in the now juxtaposed principal sections (A/B): "The entire momentum gradually falters, becoming more and more fragmentary, until it finally comes to a standstill, ending with an ironic resolution on a major chord." "At the moment, I'm working on some very, very simple, childishly easy choral preludes for organ" wrote Max Reger (1873-1916) in September 1914 when composing his Dreißig kleine Choralvorspiele (zu den gebräuchlichsten Chorälen) op. 135 a (30 Short Choral Preludes [to the Best-known Chorales] op. 135 a). Formally, »Aus tiefer Not schrei ich zu Dir« is an alternation of fragments of the cantus firmus melody and their harmonized imitation. On this recording, traditional organ registrations are substituted by synthesized sounds (some of them from the legendary "Minimoog"). Heinz-Dieter Willke |