Russian-German Composers Quartet ... Charms |
RUSSIAN-GERMAN COMPOSERS QUARTET plus
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Das Russisch-Deutsche Komponisten-Quartett widmet diese seine 2. CD dem russischen Dichter Daniil Charms, dem alle vier Musiker sich verbunden, ja verwandt fühlen. Im November 1995 kamen die vier Musiker Alexei Aigui und Ivan Sokolov aus Moskau und Dietmar Bonnen und Manfred Niehaus aus Köln zum erstenmal zusammen, um im Kölner "Loft" ein Konzert mit teils komponierten, teils improvisierten eigenen Stücken zu geben (teilweise veröffentlicht auf der CD "NOT ONLY FOR ... " bei Leo Records, London 1997)*. Es folgten im Frühjahr 1996 Konzerte in Moskau und Vologda. Im Herbst 1999 entstand die vorliegende CD als Vorbereitung für eine Konzertreise nach Rußland im Frühjahr 2000. Daniil Charms, am 17.12.1905 in St.Petersburg geboren, studierte am Leningrader Elektrotechnikum und am Staatlichen Institut für Kunstgeschichte in der Abteilung Film. Er war großer Verehrer Bachs und Mitglied der futuristischen Künstlergruppe OBERIU. Zu Lebzeiten wurden drei Gedichte, einige Kindergeschichten (angeblich konnte Charms Kinder nicht leiden) und eine Übersetzung von Wilhelm Buschs "Plisch und Plum" veröffentlicht. Unter dem Verdacht der Spionage wird er verhaftet und im Gefängnis vergessen. Charms verhungert während der Blockade der Deutschen Wehrmacht im Leningrader Gefängnis und stirbt am 2.2.1942. Die vorliegende CD enthält außer Texten von Daniil Charms auch Texte anderer Autoren, die die vier Musiker als in der Nähe der Charms-Texte stehend empfinden: James Joyce, Frank Zappa, Giraut de Bourneill, Paul Pörtner und Manfred Niehaus. Verschieden ist vor allem der Umgang mit diesen Texten. Zum Teil werden sie gesungen, wie man es seit altersher gewohnt ist. Einige werden gesprochen, z. B. in der Originalsprache (russisch), was eine eigene Klangwelt ergibt, die sich aber denen, die kein russisch können, dem unmittelbaren Verstehen verschließt. Einige Texte werden instrumental ausgedeutet, nachgespielt. Sie müssen entschlüsselt werden; man sollte sie - synchron zur Musik, aber still - nachlesen**. Meist folgt die Musik dem Text, der Text wird "vertont"; manchmal aber folgt der Text der Musik, die Musik wird also "verwortet". *Dank an das Goethe-Institut. Durch seine Initiative haben wir uns kennengelernt. ** In der Komposition "Presence" von Bernd Alois Zimmermann
(1961) findet zum erstenmal ein während der Aufführung vom Rezipienten
selbst zu lesender Text Anwendung ("Wortblattern" von Paul Pörtner).
Bei den meisten Aufführungen dieses Klaviertrios wurde das besondere
Wort-Ton-Verhältnis bisher verfehlt.
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"Motto" und "Begegnung" basieren auf Texten von Daniil Charms, denen Ivan recht eigensinnige einstimmige Melodien gegeben hat. Der "2nd Hand Tango" entstammt einer Ballettmusik, die Alexej im Frühjahr 1999 für SASCHA PEPELYAEVS KINEMATIC THEATRE geschrieben und mit dem ENSEMBLE 4'33" in Moskau realisiert hat. Hier ist unsere Version. In "Fedja" - eingerahmt von einem kompakten Vor- und Nachspiel - erzählen Violine, präparierte Viola und Klavier im Hintergrund die gleichnamige Geschichte von Charms, während Ivan im Vordergrund den russischen Originaltext spricht, deutsch nachzulesen in Daniil Charms "Fälle" Nr. 27 (Reclam-Ausgabe). Vor dem Hintergrund, daß der Autor Hungers gestorben ist, ist die Geschichte gar nicht lustig. Die "4 Illustrationen" basieren auf Charms' Text "4 Illustrationen dazu, wie eine neue Idee den Menschen umwirft, wenn er nicht auf sie vorbereitet ist" ("Fälle" No. 15). Man kann sich die Lektüre dieses Textes auch für später aufsparen und sich zunächst eine andere Geschichte dazu vorstellen. Die Musik von "Without Time, Quiet Or Money" ist eine Hommage an Duke Ellington, der 1999 seinen 100sten Geburtstag gefeiert hätte. Der Text besteht aus Limericks, die James Joyce aus unterschiedlichen Anlässen zwischen 1916 und 1925 verfaßte, und die uns durchaus Charms-verwandt zu sein scheinen. In "Musikerleben" hören wir den Monolog eines Mannes, der unterm Bett liegt, während oben der Boogie läuft. Den Titel "Wedding Music" fanden die Musiker des RUSSISCH-DEUTSCHEN KOMPONISTEN QUARTETTs während der Aufname Anfang Oktober 1999 im "Loft", da Alexej gerade eine Woche zuvor geheiratet hatte. "Da-Ch" (oder auch "Bach-Dach") ist ein Stück, das Ivan während der langwierigen Soundchecks im Studio schrieb, um Dietmars neu erworbene Organetta einzusetzen. Das Stück arbeitet mit den Tonsymbolen DACH (für Daniil Charms) und dem sattsam bekannten BACH. "What's the ugliest part of your body?" von Frank Zappa erschien erstmals 1967 auf der LP "We're Only In It For The Money" der MOTHERS OF INVENTION. Der Text könnte Charms' Zustimmung finden. "Maschkin hat Koschkin erschlagen" findet sich bei Daniil Charms' "Fällen" unter der Nummer 23. Die Anspielung auf "Das Wohltemperierte Klavier" ist für den Bach-Verehrer Charms bestimmt. Die "Szene in einer Bahnhofswirtschaft" entstammt dem Musical "Mensch Meier", das Manfred Niehaus 1966 auf ein Libretto von Paul Pörtner komponiert hat. Das Stück versucht insgesamt, den Banalitäten des Alltags die innewohnende Musik und szenische Absurdität abzulauschen. Das "Hirtenlied, die Schafe zu vertreiben" entstammt einer Bühnenmusik aus dem Jahre 1962 und wurde damals bei einem Theaterworkshop auf dem Jugendhof Rheinland in Königswinter von Jürgen Flimm, dem späteren Intendanten des Hamburger Thalia-Theaters, und von Jochen Ulrich, dem späteren Leiter des Kölner Tanzforums, beide damals noch Studenten, kreiert. Das Theaterstück damals war offenbar so schwach, daß man ihm mit selbstgetexteten Songeinlagen aufhelfen wollte. |
Die "Without"-Reprise (without text) enstand, als auf parallel laufenden Spuren Fragmente von Bläseraufnahmen der MARYLAND JAZZ BAND OF COLOGNE eines Stückes im New-Orleans-Stil auftauchten, das zufällig in der selben Tonart, allerdings in halbem Tempo war. An dieser Stelle sei auch der MJBOC gedankt, die uns freundlicherweise erlaubte, die Aufnahmen zu verwenden. Als Reprise von "What's the ugliest part of your body?" ist hier die Interpretation des betroffenen deutschen Liedermachers eingefügt. Das englische Wort "mind" läßt sich nicht ohne Weiteres ins Deutsche übertragen: Hirn?, Geist?, Gedächtnis?, Einstellung? Das Wort "Seele" klang jedenfalls ausgesprochen betroffen. Eine deutsche Version war ursprünglich nicht geplant; sie kam dadurch zustande, daß Alexej während der Aufnahme mit dem Geigenbogen gegen das Mikrofon schlug, und uns so zusätzlich eine halbe Version des Stückes zur Verfügung stand. "reis glorios" des französischen Troubadours Giraut de
Bourneill (1173-1220) wurde 1995 beim ALTERNATIVA-Festival in Moskau live
aufgezeichnet. Um die Konzertatmosphäre von "reis glorios" zu erhalten, haben wir den Applaus nach der Aufführung stehenlassen. Damit es aber nicht so sehr nach Selbstbeweihräucherung klingt, hat Gagga Deistler ein kleines Stück musique concrète daraus gemacht: "Alternativa '95". Das ist eigentlich alles.
The Russian-German Composers Quartet has dedicated this, its second CD, to the Russian poet Daniil Kharms, to whom all four composers feel a strong affinity. In November 1995, the four musicians - Alexei Aigui and Ivan Sokolov from Moscow, and Dietmar Bonnen and Manfred Niehaus from Cologne - joined forces for the first time to give a concert of their music in the "Loft" in Cologne consisting of both composed and improvised pieces (partly available on the CD "NOT ONLY FOR ... ", Leo Records, London 1997)*. Concerts in Moscow and Vologda followed in the spring of 1996. The present CD was made as a preparation for a tour to Russia in the spring of 2000. Daniil Kharms was born in St. Petersburg on 17 December, 1905. He studied at the Leningrad Institute of Electrotechnics and the State Institute of Art History in the film faculty. He was a great admirer of Bach, and a member of the futuristic group of artists called OBERIU. Of his works, three poems, several stories for children (it is said Kharms could not stand children) and a translation of Wilhelm Busch's "Plisch und Plum" were published during his lifetime. He was arrested on suspicion of espionage and forgotten in prison. Kharms starved to death in the Leningrad prison during the blockade by the German army and died on 2 February 1942. |
Besides texts by Daniil Kharms, the present CD also includes texts by other authors which the four musicians feel to be close in nature to Kharms' texts. These are by James Joyce, Frank Zappa, Giraut de Bourneill, Paul Pörtner and Manfred Niehaus. The way the texts are employed differs widely. Sometimes they are sung in the familiar manner. Some are spoken, for example in the original language (Russian), which creates a particular sound, but prevents anyone who does not know Russian from directly understanding them. Some texts are interpreted or imitated using instruments. These have to be deciphered; they should be read silently while listening to the music**. Mostly, the music follows the text - the text is "put to music"; but sometimes, the text follows the music - i.e. the music is "put to words". *Our thanks to the Goethe Institute: we met upon its initiative. **A text that is to be read by the listener during the performance is
to be found employed for the first time in the composition "Presence" by
Bernd Alois Zimmermann ("Wortblattern" by Paul Pörtner).
Most performances up to now of this piano trio have failed to capture the
special relationship of words to music in this piece. "Solovki" was written on 3 October 1994 on a ship in distress in the White Sea between the Solovetski Islands and Archangelsk, during a Russian tour organised by the Goethe Institute with the ensemble FLEISCH. The main feature of Solovki Island is a monastery which was a concentration camp under Stalin. This piece, written in graphic notation, was performed for the first time by FLEISCH together with Alexei Aigui in a live broadcast from Radio Moscow on the evening after the disabled ship had been brought to safety in the nuclear submarine harbour of Archangelsk."Motto" and "Begegnung" (Meeting) are based on texts by Daniil Kharms; Ivan has set them to extremely unconventional unaccompanied melodies. The "2nd Hand Tango" is taken from a ballet piece that Alexej wrote in early 1999 for SASCHA PEPELAYAEV'S KINEMATIC THEATRE. It was performed in Moscow by ENSEMBLE 4'33''. Here is our version. In "Fedja", which is wedged between a concise prologue and epilogue, the violin, prepared viola and piano narrate the story of the same name by Kharms in the background, while Ivan speaks the original Russian text in the foreground (an English translation can be found in "Incidences (Extraordinary Classics)", Serpents Tail ISBN 1852423064. The story is not at all funny if one bears in mind that the author died of starvation. The "4 Illustrations" are based on Kharms' text "4 illustrations of how a new idea overwhelms people if they are not prepared for it". The text can be read later; listeners can at first imagine their own story to the music. The music of "Without Time, Quiet or Money" is a homage to Duke Ellington, who would have celebrated his 100th birthday in 1999. The text consists of occasional limericks written by James Joyce between 1916 and 1925 and which seem to us to possess an affinity with works by Kharms. In "Musikerleben" (A Musician's Life) we hear the monologue of a man lying under a bed while on top of it there's some "boogieing" going on. |
The musicians of the RUSSIAN-GERMAN COMPOSERS QUARTET chose the title "Wedding Music" during a recording in the "Loft" at the start of October 1999, as Alexej had married a week before. "Da-Ch" [German: "roof"] (or "Bach-Dach") is a piece Ivan wrote during tedious sound checks in the studio to put Dietmar's newly-acquired organetta to use. The work uses the note names D-A-C-H (English: D-A-C-B) (for Daniil Charms, as he is known in German), and the well-known motto B-A-C-H (English: B flat-A-C-B natural). "What's the ugliest part of your body?" by Frank Zappa first appeared in 1967 on the LP "We're Only In It For The Money" by the MOTHERS OF INVENTION. The text is one Kharms might have agreed with. "Maschkin hat Koschkin erschlagen" (Maschkin has killed Koschkin) is to be found in Daniil Kharms' "Incidences" (Nr.23). The allusion to the "Well-Tempered Clavier" refers to Kharms as an admirer of Bach. The "Szene in einer Bahnhofswirtschaft" (Scene in a Station Bar) comes from the musical "Mensch Meier", which Manfred Niehaus wrote in 1966 to a libretto by Paul Pörtner. This piece attempts to discover the music and scenic absurdity inherent in the banalities of everyday life. The "Hirtenlied, die Schafe zu vertreiben" (Shepherd's Song to Drive Away the Sheep) is taken from some incidental music written in 1962. This music was first performed during a theatre workshop at the "Jugendhof Rheinland" by Jürgen Flimm, who later became the director of the Hamburg Thalia Theatre, and Jochen Ulrich, later director of the Tanzforum in Cologne, both of whom were still students at the time. The play was obviously so weak that it was decided to help it along with a few songs to original lyrics. The "Without" reprise (without text) came into existence when fragments of a piece in New Orleans style played by the MARYLAND JAZZ BAND OF COLOGNE turned up on parallel tracks while recording. It was coincidentally in the same key, but at half tempo. Here we should like to thank the MJBOC for their kind permission to use these recordings. As a repeat of "What's the ugliest part of your body?", we have put in an interpretation as written by a "socially-conscious" German songwriter. The English word "mind" is not all that easy to translate into German, where there are only words meaning "brain", "spirit", "memory", "attitude", none of which captures the full meaning. The word "soul" sounded extremely "socially-conscious", at any rate. A German version was not planned at first. It arose because Alexej hit the microphone with his violin bow during the recording so that we had an additional version of half the piece. "reis glorios", by the French troubadour Giraut de Bourneill
(1173-1220) was recorded live at the ALTERNATIVA Festival in Moscow in 1995. |
In this tradition, there are recurring characters: the
idealised woman, usually someone else's wife, the jealous husband, the lover,
the friend keeping watch (in "Tristan", Brangäne keeps watch
over Isolde and Tristan), the birds as a warning that dawn is not far away
... In order to preserve the concert atmosphere of "reis glorios" we have left the applause after the performance. So that this does not sound too much like self-glorification, Gagga Deistler has turned it into a musique concrète piece: "Alternativa '95". That's really all there is to say.
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