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»… es wehet ein Schatten darin …« – Susanne Kessel

... es wehet ein Schatten darin ...

 

Alvin Lucier »I am sitting in a room«
for voice on tape. 1970, 12’22

Robert Schumann »Geistervariationen«
Thema. 1854, 2’23

John Cage »4’33«
tacet for any instrument. 1952, 4’33

Dietmar Bonnen »i.m.R.Sch.«
1992, 13’00

 

Mastering: Stefan Deistler
Design / Titelbild: Peter Hölscher
TT: 32’20
DDD, GEMA, c OBST 2006, p Kessel 2006

 

 

Susanne Kessel
„... es wehet ein Schatten darin ...“
Schumanns Zimmer in Endenich

Zum 150. Todestag von Robert Schumann (1810 – 1856)

1856 starb Robert Schumann in einer Nervenheilanstalt. Zwei Jahre zuvor hatte er vergeblich versucht, sich durch einen Sprung von der Düsseldorfer Rheinbrücke das Leben zu nehmen und war anschließend auf eigenen Wunsch in die Anstalt in Endenich bei Bonn gebracht worden. Er hoffte, dass er dort geheilt würde. Dass die Stimmen aufhörten; dass es still würde in seinem Kopf.

Schumanns Zimmer in Endenich wurde nicht nur als Aufnahmeort für die hier vorliegenden Sprach- und Klang-Installationen genutzt. Die akustischen Gegebenheiten des Sterbezimmers selbst, seine spezifischen physikalischen Eigenschaften, wurden als Klangkörper zum Klingen gebracht.

Natürlich ist es viel mehr als reine Physik: In diesem Zimmer lebte Robert Schumann! Hier litt er unter quälenden Stimmen von Engeln und Dämonen, unter Gehör-Affektionen, die ihm ganze musikalische Werke ins Gehör riefen, ihm den Schlaf raubten und nach und nach auch den Verstand.

Das Zimmer Robert Schumanns, die Stimmen, die ihn verwirrten, die tosenden Musikstücke in seinem Kopf sind Thema dieser CD. Das Titelzitat  „... es wehet ein Schatten darin ...“ ist dem letzten Brief Robert Schumanns an seine Frau Clara entnommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Der 1931 geborene Amerikaner Alvin Lucier gilt als einer der großen bedeutenden Pioniere der elektronischen Musik. In seinem berühmtesten Werk I am sitting in a room wird ein live eingesprochener Text über Lautsprecher in einen Raum eingespielt. Der Klang der Stimme wird zusammen mit den unweigerlich hinzukommenden Resonanzfrequenzen des Raumes aufgezeichnet und wieder in den Raum hinein abgespielt. Dieser Vorgang wird wiederholt, bis der Text durch die Überlagerung der Resonanzen unkenntlich geworden ist. Am Ende haben die Klänge ihre semantische Bedeutung gänzlich verloren. Nur das Gedächtnis erhält die Bedeutung der Worte aufrecht.

Einleger Seite 1

 

 

 

 

Jedem Raum, in dem ein Hörer die CD abspielt, wird die Akustik des Raumes, in dem die Aufnahme hergestellt wurde, gewissermaßen nach und nach „übergestülpt“ – die Akustik des Raumes, in dem sich der Hörer eigentlich befindet, wird in dieser Aufnahme mehr und mehr von den Resonanzen des Schumannhauses überdeckt. Die Geräusche des eigenen Raumes sind fast nicht mehr wahrzunehmen.

Der Hörer wähnt sich akustisch im Sterbezimmer Robert Schumanns.

Einleger Seite 2

 

 

 

 

In einem Interview sagt Alvin Lucier über »I am sitting in a room«: “Every room has its own melody, hiding there until it is made audible“. Dieser Ausspruch Luciers erinnert an die poetische Idee, die 1838 Joseph von Eichendorff in seiner  »Wünschelrute« ausdrückte:

„Schläft ein Lied in allen Dingen
Die da träumen fort und fort
Und die Welt hebt an zu singen
Triffst du nur das Zauberwort.“

Das Zauberwort Luciers ist hier die Sprechstimme, die den Raum zum Klingen bringt.

Robert Schumanns Geistervariationen entstanden innerhalb weniger Tage vor und nach seinem Selbstmordversuch 1854 in Düsseldorf. Das Thema dazu sei ihm von den Engeln eingegeben worden, wie in Clara Schumanns Tagebucheintragungen nachzulesen ist. Während dieser Zeit wurde Schumann durch entsetzliche Stimmen von Geistern, Dämonen und Engeln gepeinigt. Die Geistervariationen sind das einzige Werk, das er noch in der Heilanstalt in Endenich korrigierte. Es blieb die letzte niedergeschriebene Komposition Robert Schumanns.

Bereits 1952, siebzehn Jahre vor Luciers »I am sitting in a room«,  hatte John Cages Komposition 4'33'' das akustische Eigenleben des Konzertraumes und seiner Umwelt hörbar gemacht. Er ließ einen Musiker vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang still vor dem Konzertflügel sitzen. Der Klangraum wird in diesem Werk nicht experimentalwissenschaftlich – wie bei Alvin Lucier – sondern anarchisch erkundet: Was klingt in diesem Moment in der vom Interpreten und von den Zuhörern eingehaltenen Stille im jeweiligen Raum?

 

 

 

 

 

Die hier vorliegende Aufnahme wurde live innerhalb eines Klavierabends am 14. 2. 2006 von Susanne Kessel im voll besetzten Bonner Schumannhaus mitgeschnitten.

Die Komposition i.m.R.Sch. von Dietmar Bonnen entstand 1992 nach dem Tode John Cages und bezieht sich auf unterschiedliche Techniken des amerikanischen „Musik-Erfinders“. Integriert in dieses Stück sind Zitate verschiedener Klavierwerke Schumanns – gespielt in seinem Sterbezimmer von Susanne Kessel am selben Abend wie 4’33’’ – aber auch andere Elemente wie in Klang umgewandelte Hirnströme, aufgezeichnet während eines Epilepsie-Anfalls, Aufnahmen des unregelmäßigen Pulsierens eines kranken Hundeherzens und des kochenden Wassers eines Geysirs oberhalb der chilenischen Atacama-Wüste vor Sonnenaufgang.

In dieser sich ständig bewegenden Klangmasse werden einzelne Elemente der Schumannschen Kompositionen fokussiert. Einzelne musikalische Gedanken erhalten auf diese Weise klare Konturen - wie „Blumen“ in Schumanns Kopf.

„Es ist kein Wunder, dass mein Vater krank wurde. In seinem Kopfe wuchsen ja lauter Blumen!“.
(Eugenie Schumann)

 

 

Grußbotschaften aus der Musikwelt

Am 29. Juli vor 150 Jahren starb Robert Schumnann in Bonn-Endenich

Von der Bonner Pianistin Susanne Kessel kommt ein ganz spezielles Geschenk, das den teilnehmenden Künstlern als Dankeschön überreicht werden soll und das für 15 Euro im Schumannhaus erhältlich ist. Kessel spricht und spielt Werke von Alvin Lucier ("I am sitting in a room"), John Cage ("4`33``"), Dietmar Bonnen ("i.m.R.Sch.") und Schumanns "Geistervariationen" aus dem Jahr 1854.

Die Aufnahmen wurden im Endenicher Sterbezimmer des Komponisten vorgenommen. "Das Zimmer Robert Schumanns, die Stimmen, die ihn verwirrten, die tosenden Musikstücke in seinem Kopf sind das Thema dieser CD", heißt es im Begleittext dieser handverlesenen Zusammenstellung, die den Titel "...es wehet ein Schatten darin..." trägt und im kleinen, aber feinen Kartonschuber daherkommt. Macht sich ausgesprochen gut auf dem heimischen Schumann-Altar – und insbesondere im Jubiläumsjahr.

Hagen Haas
20.07.2006
Bonner General-Anzeiger Feuilleton

Vor 150 Jahren starb der Komponist Robert Schumann in der Nervenheilanstalt Bonn-Endenich. Zu diesem Anlass war sein Sterbezimmer nun Schauplatz einer Plattenaufnahme, die der besonderen Aura dieses musealen Ortes nachspürt.

Die Pianistin Susanne Kessel und der Produzent und Komponist Dietmar Bonnen haben um Schumanns »Geistervariationen« – das musikalische Extrakt seiner mentalen Entrückung – ein raffiniertes Programm zusammengestellt: »I am sitting in a room« für Tape und Stimme des Amerikaners Alvin Lucier, einem Meister in der akustischen Darstellung des vermeintlich Unhörbaren, Bonnens »i.m.R.Sch.«, das Intarsien Schumannscher Melodiefloskeln mit einem heterogenen Klangkontext aus sonifizierten Hirnstrommessungen, kochendem Wasser oder einem pochenden Hundeherzen verfugt, sowie John Cages legendäres »4’33’’«, bei dem der Pianist binnen viereinhalb Minuten nur den Klavierdeckel öffnet und schließt, ohne einen Ton zu spielen, eine Hommage nicht an die Stille, sondern an den Raum als die Seele des Klangs.

Keine spiritistische Sitzung, kein muffiger Nekrolog, eine sinnliche bis übersinnliche musikalische Rauminszenierung. Und manchmal sogar ein bisschen gruselig.

Manfred Müller

 

»In der Nacht vom 17. zum 18. Oktober 1833 kam mir auf einmal der fürchterlichste Gedanke, den je ein Mensch haben kann – der fürchterlichste, mit dem der Himmel strafen kann, – der, den Verstand zu verlieren.«

Robert Schumann, 1838