John Cage |
John Cage wird am 5. September 1912 in Los Angeles geboren und erhält schon in jungen Jahren Klavierunterricht. 18-jährig, nach seinem Abschluß auf der Los Angeles High School, reist er zur Weiterbildung nach Paris. Dort begegnet er u. a. auch den Werken von Erik Satie, der zwar schon 1925 gestorben aber noch nicht ganz vergessen ist. Cage studiert Architektur bei Goldfinger, beginnt zu malen, auf Mallorca entstehen die ersten Kompositionen. 1931 kehrt er in die USA zurück.1934 nimmt ihn Arnold Schönberg als Kompositionsschüler an, obwohl er den Unterricht nicht bezahlen kann. Schönberg stellt eine Bedingung: Cage muß geloben, "sein Leben der Musik zu widmen". Arnold Schönberg (1874-1951) ist 1934 gerade auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus in Los Angeles angekommen, wo er bis zu seinem Tode wohnen bleibt. 10 Jahre zuvor - 1924 - hat er die "Zwölftontechnik" entwickelt. John Cage erfindet gerade 1933/34 eine eigene Technik, mit einer 25-Tonreihe, die sich ohne Tonwiederholung über 2 Oktaven erstreckt, zu arbeiten. Trotz des Gelöbnisses, "sein Leben der Musik zu widmen", beginnt John Cage 1937 eine Buchbinderlehre. Zusammen mit anderen Buchbindern gründet er ein Schlagzeugquartett. 1942 zieht Cage nach New York und wohnt zunächst bei Max Ernst und Percy Guggenheim. 1948 Lehrtätigkeit am Black Mountain College in North Carolina. Cage organisiert dort ein Satie-Festival. 1952 markiert Cage mit seiner Komposition »4'33"« das Ende allen musikalischen Fortschritts; er komponiert trotzdem weiter Musik. 1964 befragt er das I-Ging, ob er so fortfahren solle. Das Orakel bescheidet ihm: ja, er möge auf diese Weise Freude und Umsturz verbreiten. Der erste Auftritt von John Cage in Deutschland war wohl am 17. Oktober 1954 in Donaueschingen, dort spielt er zusammen mit David Tudor ein Programm mit amerikanischer Klaviermusik, darunter seine »2346 for 2 Pianists«. Zwei Tage später spielen sie das gleiche Programm in Köln im Kleinen Sendesaal des WDR. Anschließend erfolgt im gleichen Saal die erste öffentliche Aufführung von elektronischer Musik des Kölner Studios, u.a. Stockhausens »Studien 1 und 2«. 19. September 1958. Zum zweiten Mal ist John Cage im Kölner Funkhaus zu hören (und zu sehen). Im Kleinen Sendesaal wird sein Klavierkonzert in Europa erstaufgeführt. Die Aufführung wird zu einem kleinen Skandal. Klein, denn man ist unter sich. Herr Adorno aus Frankfurt und Herr Steinecke aus Darmstadt sitzen etwas betreten grinsend nebeneinander. Einige Kompositionsschüler der Kölner Musikhochschule, darunter ich, sind auch da. Die Musiker von den ersten Pulten des KÖLNER RUNDFUNKSINFONIEORCHESTERs wollen einmal vorführen, wie verrückt, wie unmöglich dieser amerikanische Komponist ist, dessen Noten soviel Unsinn zulassen. David Tudor ist der Solist am Klavier; er kann nichts dafür. |
Natürlich erreicht John Cage sein Ziel; er führt vor, wie beschränkt, wie blöde und wie infantil festangestellte deutsche Spitzenmusiker sein können. Nun, eigentlich will er etwas anderes erreichen; er will den Musikern Gelegenheit geben, frei, eigenverantwortlich zu handeln. 1958 erkennt man diese Chance noch nicht. In akademischen wie in avantgardistischen Kreisen ist man danach noch länger ziemlich irritiert, was man von diesem Außenseiter, ja fast Außerirdischen halten solle, der da gelegentlich zu uns herüber (oder herunter) kommt. Im Sommer 1958 war der Schreiber dieser Zeilen, damals gerade 24 Jahre alt und Kompositionsschüler von Bernd Alois Zimmermann, zum ersten Mal Teilnehmer bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik. Es war urgemütlich. Wir wohnten alle zusammen in einem Internat, dessen Schüler gerade in Ferien waren. Gerd Zacher, Heinz Holliger, Ernstalbrecht Stiebler und ich teilten uns ein Zimmer. Abends fuhren wir alle mit einem eigens für uns gemieteten Straßenbahnzug, vollbesetzt bis auf die Trittbretter, ins Konzert. Mit drei oder vier Kommilitonen aus Köln gründete ich den »Klub der radikalen Mitte«; zu mitternächtlicher Stunde veranstalteten wir im Hörsaal jenes Internats Vorlesungen über handgeschriebene Musik oder sowas. Zur Vorlesung mußte man durch ein Fenster einsteigen, da die Türen abgeschlossen waren. Für das Zustandekommen der Vorlesungen - wir hatten gewettet - spendierte uns Alois Kontarsky einen Kasten Bier und den dazugehörigen Steinhäger für die »Stein-Pils-Kur«. Die offiziellen Vorlesungen tagsüber waren - für uns - nur mäßig interessant. Wir saßen im Vorraum und lasen Zeitung (oder Partituren). Da kamen einige junge Leute hereingeschwebt, rissen Papier in kleine Streifen, ließen die Schnipsel auf den Boden fallen und freuten sich darüber. Was war denn mit denen los? Sie kamen aus der Vorlesung von John Cage. Sie studierten den Zufall. Wir haben noch längere Zeit gebraucht, bis wir John Cage richtig wahrgenommen und verstanden haben. Wir haben darüber nachgedacht, ob es ausreicht, wenn man Musik nur liest (Dieter Schnebel »Mono«), oder ob man sie hören muß. Wir haben die Proportionen mit dem Lineal nachgemessen. Kann man sie auch hören? Gibt es ein Lineal für die Ohren? Dann begegneten wir »4'33"«. In Köln waren sie am 26. November 1956 in der Galerie Ernst Brücher erstmals zu erleben. Ich hab's damals verpaßt. Immerhin: 20 Jahre später habe ich sie mit Frederik Rzewski am Klavier im kleinen Sendesaal des WDR aufgenommen. »4'33"«: am 29. August 1952 spielt David Tudor in Woodstock in drei Sätzen (33" - 2'40" - l'20"), die durch Öffnen und Schließen des Klavierdeckels voneinander getrennt sind, insgesamt 4 Minuten 33 Sekunden Schweigen. Für mich bedeutet das erst einmal das Ende der "Avantgarde", das Ende des "Fortschritts", weiter kann man nicht mehr gehen, es gibt nichts mehr zu sagen. There is another way: Cage meint, man solle derweil die Fenster öffnen und zuhören, was alles an Klängen hereinweht. Zufälle, ja, aber die Zufälle sind geformt: 33" - 2'40" - l'20". Aber das ist doch keine Musik! Nennen Sie es anders, gnädige Frau, wenn Sie das Wort "Musik" stört, so John Cage wörtlich. Er sagt es natürlich auf englisch. An das Datum kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Aber Daten sind wichtig, sie beweisen, daß und wann einmal jetzt gewesen ist. John Cage hat oft die Daten der Aufführung - der Moment, wo Musik zur Realität wird - als Titel des Stückes gewählt oder im Kommentar dazu festgehalten. Oder aber die Dauer der Aufführung. Zeit ist etwas Konkretes. Was sonst bleibt von Musik übrig, nachdem sie verklungen ist, erinnert und vergessen ist, als die Zeit, die sie gedauert hat? Am 12. August 1992 ist John Cage, fast 80 Jahre alt, in New York gestorben. Manfred Niehaus Ich habe nichts zu sagen und ich sage es und das ist Poesie wie ich sie brauche |
John Cage was born on September the 5th, 1912 in Los Angeles and was given piano lessons from a very early age. At 18, after graduating from the Los Angeles High School, he traveled to Paris to continue his education. There he encountered the works of Erik Satie, who had died in 1925 but who still hasnt been forgotten. Cage studied architecture with Goldfinger, began to paint, and his first compositions were written in Mallorca. In 1931 he returned to the USA. In 1934 Arnold Schönberg accepted him as a composition student, although he couldnt afford the lessons. Schönberg imposed one condition: Cage had to promise to dedicate his life to music. Arnold Schönberg (1874-1951) had just arrived in Los Angeles fleeing National Socialism, and he remained there until his death. Ten years earlier 1924 he had developed the twelve-tone technique. In 1934 John Cage discovered a technique of his own, with a scale of 25 pitches, which spans two octaves without a pitch repetition, with which he works. In spite of his promise to dedicate his life to music, John Cage began an apprenticeship as a bookbinder in 1937. Together with other bookbinders he founded a percussion quartet. In 1942 Cage moved to New York and at first lived at Max Ernst and Peggy Guggenheims. In 1948 he taught at Black Mountain College in North Carolina. Cage organized a Satie Festival there. In 1952, with his composition »433« Cage marked the end of all musical progress; in spite of it he continued to compose music. In 1964 he consulted the I-Ching regarding whether he should continue on the same path. The oracle assured him: yes, he should continue to propagate happiness and subversion in this way. The first performance of John Cage in Germany was on October the 17th, 1954 in Donaueschingen, where he played a program of American piano music with David Tudor, including his own »2346 for 2 Pianists«. Two days later they played the same program in Cologne in the Small Broadcast Studio at WDR. Directly after that, in the same room, the first public performance of electronic music of the Cologne studio took place, including Stockhausens »Studien 1 und 2«. September 19th, 1958. For the second time we hear (and see) John Cage in the Cologne broadcasting station. His piano concerto has its European premiere in the Small Broadcast Studio. The performance turns into a small scandal. Small because we are among our kind. Mr. Adorno from Frankfurt and Mr. Steinecke from Darmstadt sit next to each other, a disconcerted grin on their faces. A few composition students from the Cologne Music Academy, including me, are also there. The musicians in the first rows of the KÖLNER RUNDFUNKSINFONIEORCHESTER want to demonstrate how crazy, how impossible this American composer, whose notes allow so much nonsense, is. David Tudor is the soloist at the piano, and he cant do a thing about it. Of course, John Cage has attained his goal: he has shown how limited, how stupid and how infantile German highest ranking permanently employed musicians can be. |
But actually, he wanted to attain something else; he wanted to give the musicians the possibility of acting freely and taking responsibility. In 1958, this opportunity was not yet recognized. In academic as well as in avant-garde circles one remained irritated for quite a while, wondering what one should think of this outsider, yes, this visitor from outer space, who occasionally came over (or down) to visit us. In the summer of 1958, the writer of these lines, 24 at the time and a composition student of Bernd Alois Zimmermann, was a first-time participant at the »Darmstadt Summer Courses for New Music«. It was extremely cozy. We all lived together at a boarding school, whose students were on vacation. Gerd Zacher, Heinz Holliger, Ernstalbrecht Stiebler and I shared a room. In the evening we rode a tram, especially rented for our use, full to the running-boards, to the concert. With three or four companions from Cologne I founded the »Club of the Radical Middle«; at midnight we organized lectures about music manuscripts and such. To attend the lecture one had to enter through a window, since the doors were locked. For the occurrence of the lectures we had bet on it Alois Kontarsky provided a box of beer and the corresponding mugs (Steinhäger) for the »Stein-Pils-Cure«. The official daytime lectures were only moderately interesting to us. We sat in the entrance hall and read newspapers (or scores). Some young people sauntered in, tore paper into small strips, let the pieces fall on the floor and were happy about it. What was wrong with them? They came from John Cages lecture. They studied chance. It took us a long time until we fully acknowledged and understood John Cage. We wondered whether it is enough to read music (Dieter Schnebel »Mono«), or whether one must hear it. We measured the proportions with a ruler. Can one hear them as well? Is there a ruler for the ears? Then we encountered »433«. In Cologne they could be experienced for the first time on November 26th, 1956 in the Ernst Brücher Gallery. I missed them that time. In any case, 20 years later I recorded them with Frederik Rzewski at the piano in the Small Broadcast Studio at WDR. »433«: on the 29th of August, 1952, David Tudor plays it in Woodstock in three movements (33 240 120), separated from another by the opening and closing of the piano lid, adding up to 4 minutes 33 seconds of Silence. For me that means first of all the end of the Avantgarde, the end of Progress; it is not possible to go further, there is no more to say. There is another way: Cage thinks that while this is happening, one should open the windows and listen to the sounds which come floating in. Chance events, yes, but they possess shape: 33 240 120. But that isnt music! Call it something else, if the word music bothers you, to quote John Cage. I cant remember the date when Cage said this. But dates are important; they prove that, and when, now once existed. John Cage often used the dates of performance the moment where music becomes reality as the titles of the pieces, or preserved them in his commentary. Or the length of the performance. Time is something concrete. What else remains of music after it has ceased to sound, has been remembered and forgotten, as the time it has sounded? On August 12th, 1992, John Cage, almost 80, died in New York. Manfred NiehausTranslation: Consuelo Sañudo
I have nothing to say and I am saying it and that is poetry as I need it (John Cage »Silence«) |
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