Home

Oswald von Wolkenstein

Der neue Hunderter

"Dieser tirolische Ritter (1377-1445) ist eine Abenteurer- und Verbrechernatur von höchstem Interesse", schrieb 1933 der Wissenschaftler Samuel Singer über Oswald. Die Verbrechernatur sollte man heutzutage differenzieren; Oswald war, was man jetzt wohl einen Diplomaten nennt - mit allen Schattierungen des Ausdrucks. Das höchste Interesse gebührt ihm nach wie vor.

Als Tiroler Ritter des 15. Jahrhunderts erlebte Oswald diverse Höhen und Tiefen: Gesandtschaften für Kaiser Sigismund; Reisen, die ihn bis nach Spanien, Litauen, Ungarn und Köln führten; Schlachten ums heimische Erbe inklusive Gefangenschaft und Folter; das Konstanzer Konzil von 1414; Schuldhaft, Mord und Totschlag - alles mehr oder minder typisch für einen Zeitgenossen; auffallend ist die Energie, mit der Oswald seinen Vorteil zu verfolgen weiß.

Auffällig wird sein Leben dadurch, daß Oswald Zeit und Lust fand, seine Erlebnisse in Liedern zu besingen und diese auch noch in zwei repräsentativen Handschriften - mit Noten! - aufzeichnen zu lassen. Da die Handschriften zudem mit seinem Porträt geschmückt sind, was zweifelsohne die ersten nach der Natur gemalten Autorenporträts der deutschen Literaturgeschichte darstellt, verdiente sich Oswald im Laufe der Forschung solche Titel wie »der letzte Minnesänger«, »der erste Deutsche der Moderne« uvm. Ganz abgesehen von eventueller epochaler Bedeutung zeichnen sich die Gedichte aus durch seine Deftigkeit, seine krachlederne Sprache und seine ironische Erzählhaltung. Die reiche Musiküberlieferung macht Oswald zu einem Hauptlieferanten für Interpreten mittelalterlicher Musik. An einigen Melodien läßt sich nachweisen, daß er sie nach französischen und italienischen Vorbildern geklaut hat: seine Neutextierungen aber sind von einer vokalen Klangkraft, die alles rechtfertigt. Als Umschlagplatz der Musikkultur des Spätmittelalters zeigt sich Oswald als Bearbeiter und Bewahrer, als Abenteurer und Liederjan; vor allem aber als begnadeter Dichter und Musikant, dessen pralles Leben sich in seinen Liedern über mehr als ein halbes Jahrtausend durchsetzt.

Martin Schubert

OBST-Diskographie

als Komponist:
• LES SAXOSYTHES: Sozusingen
OBST Almanach des Jahres 2002
• Cora Schmeiser hier und dort
• Lunyala Trio dit & dat