Mit Würfeln die Motive bestimmtEine Reise nach Japan steht im Zentrum eine Ausstellung von Ellen Keusen im Kunstraum Obst. |
Es gibt Reisewünsche, die sollte man nicht zu früh, aber auch nicht zu spät in seinem Leben verwirklichen. Und weil es überhaupt sehr schwer ist, den richtigen Zeitpunkt für seine Lebensentscheidungen zu finden, freut man sich dann um so mehr, wenn man genau zum passenden Moment am passenden Ort war. Wie die Kölner Künstlerin Ellen Keusen, die im vergangenen Jahr drei Monate lang in Japan verbracht hat. Jürgen Kisters ~ Ellen Keusen Wie viele Menschen aus dem Westen hatte sie einen Traum vom „Land der aufgehenden Sonne“, belebt durch die poetische Klarheit japanischer Holzschnitte und Kaligraphien, die ewige Augenblicksweisheit japanischer Haiku-Dichter, die ruhigen Bilder in japanischen Spielfilmen, Fantasien von Samurais, Geishas und Zen-Priestern, die Stille im Ausdruck buddhistischer Skulpturen und die Harmonie in japanischen Kloster-Gärten. Dieser Traum bezieht sich vor allem auf das alte Japan, repräsentiert durch die Stadt Kyoto und ihre traditionellen Klosteranlagen. Dort, in Kyoto, hat Ellen Keusen in einem Vorort gelebt. und jeden Tag hat sie sich auf den Weg zum Tempel Inari aufgemacht, der hoch oben auf einem Berg liegt. Von dort kann man die ganze Stadt überschauen. Auf dem täglichen Weg dorthin sind die Zeichnungen entstanden, die derzeit in einer Ausstellung im Kunstraum Obst zu sehen sind. |
Es ist immer die gleiche Strecke, und es sind immer andere Perspektiven, die Keusen mit feinen Bleistift-Umrisslinien „dokumentiert“ hat. Allerdings wollte sie von Beginn an ihrem konventionellen, durch Absichten und Gewohnheiten eingefahrenen Blick entgehen. „Man hat soviele Klischees über Japan im Kopf, die man im Blick reproduziert“, erklärt Keusen. Daher hat sie drei spezielle Würfel und ein damit verbundenes Zufallsprinzip entwickelt, um zu ihren zeichnerischen Motiven zu kommen. Der Wurf des ersten Würfels legt fest, welche Distanz sie zurücklegen sollte, der zweite die Augenrichtung, der dritte die Entfernung einer Nah, Mittel- oder Weitsicht. „Am Anfang dachte ich, ich sehe gar nichts. Aber sehr bald merkte ich: man sieht ja immer etwas“. So veranschaulichen die aus dem Zufall entstandenen Zeichnungen den ganzen Prozess einer neugierig-offenen Annäherung an die einfachen Dinge der Natur- und Kulturlandschaft von Inari. Sie zeigen das Haus, in dem Keusen wohnte. Sier zeigen Blumen, Mülltonnen oder Reisfelder, den Platz des Steinmetzes in der Nähe des Friedhofs, die feinen Verästelungen von Bambuspflanzen, japanische Schriftzeichen auf einer Tafel und die Skulptur eines Fuchses am Tempelportal. Die fließenden Bleistift-Linien machen sichtbar, wie die Dinge ineinander übergehen und miteinander verbunden sind. und wie sie zugleich alles und nichts bedeuten. Dabei zählen die Linien nicht mehr als die Leere des weißen Papiers dazwischen. |
Die Präzision und Sorgfalt in Keusens zeichnerischen Ausführung ist beeindruckend. Da beherrscht eine Künstlerin meisterlich die Kunst des Weglassens und Reduzierens. An keiner Stelle wird mit dem Stift gezögert und gefummelt. Das handwerkliche Können und das intuitive Wissen einer Jahrzehnte langen zeichnerischen Erfahrung drückt sich darin aus. Und was hat die Künstlerin in Japan gelernt? Dass die Absicht bisweilen hilfreich sein kann, die Spur der eigenen Absichten zu verlassen. Und möglicherweise bestimmt genau das den westlichen Traum von Japan: dass das Verlangen nach Absichten endlich aufhören möge und man eintreten könne in einen schwebenden Zustand der Zwecklosigkeit und der Besänftigung. Kölner Stadtanzeiger
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Theo Roos ~ Lothar Burghaus Ellen Keusen zeigt mit ihrer Ausstellung „nach Inari“ ein anderes Japan-Bild Bambusstäbe und Stacheldraht, japanische Schriftzeichen und Benzinkanister, Schirme und eine Fuchsstatuette mit umgebundenem Latz: In den Zeichnungen von Ellen Keusen, die derzeit im Kunstraum OBST unter der Überschrift „nach Inari“ ausgestellt sind, werden banalster Alltag und eine Exotik, die sich nur Japan-Kennern unmittelbar erschließt, teilweise in ein und demselben Bild ohne Auflösung nebeneinander gestellt. Gerade weil die Art der Darstellung so fremd ist, hinterlässt sie sofort den Eindruck des Authentischen. Und dass sie diesen Eindruck hinterlässt, hatte die Künstlerin auch geplant – indem sie auf den Zufall setzte. Hans-Martin Müller ~ Michael Pape
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Hans-Martin Müller ~ Lothar Burghaus ~ Dietmar Bonnen Einen gelenkten Zufall allerdings, denn sie bediente sich während einer Japan-Reise der künstlerischen Methode der Aleatorik. Der Begriff ist vom lateinischen Wort „alea“ – auf Deutsch: der Würfel – abgeleitet und bedeutet, dass Zufallsprozesse gezielt zur Erzeugung von Strukturen in musikalischen, literarischen oder bildnerischen Werken eingesetzt werden. Ellen Keusen hatte ganz wörtlich spezielle Würfel angefertigt, als sie drei Monate lang in einem Vorort von Kyoto lebte. In dieser Zeit machte sie sich unter anderem zu Fuß auf den Weg zu einem nahe gelegenen Kloster, in dem Inari, der Shinto-Gott der Fruchtbarkeit und des Reis, verehrt wird und dessen Boten Füchse sind. „Auf einem Würfel hatte ich verschiedene Entfernungen in Schritten markiert, auf dem zweiten die Richtungen, in die ich nach dem Abschreiten dieser Strecke blicken sollte“, erzählt die Künstlerin. „Und auf dem dritten schließlich war festgelegt, ob das Motiv, das ich zeichnen sollte, nah, weit entfernt oder in mittlerer Distanz zu suchen sei.“
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Selbstverständlich begann jeder neue Abschnitt dort, wo der vorherige aufgehört hatte. 35 Bleistiftzeichnungen entstanden so, manchmal drei an einem Tag, die nun in der ursprünglichen Reihenfolge im Kunstraum OBST aufgehängt sind, so dass der Besucher den Weg nachvollziehen kann. „Indem ich mich durch die Würfel lenken ließ, wollte ich vermeiden, Klischees zu reproduzieren. Man kommt gar nicht erst in Versuchung, nur die besonders malerischen Motive abzubilden.“
Titelheld So entsteht durch den absichtslosen Blick ein etwas anderes Japan-Bild, auch wenn stilistisch die zarten Bleistift-Striche auf den vom Format her identischen Blättern – anders als die dargestellten Motive – noch eine Ordnung und Übersichtlichkeit suggerieren, wie sie von der japanischen Kunst her bekannt ist: „Das stimmt alles nicht“, lacht Ellen Keusen, die ausdrücklich betont, nicht vom Buddhismus beeinflusst zu sein, „die Japaner sind kein ordentliches Volk, dazu haben die viel zu wenig Platz.“ Kölnische Rundschau |
Familie Niehaus
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