HaWebe Lapislazuli |
OEE 99.4 HaWebe (Hans-Werner
Berretz) »Lapislazuli« |
Muspilli Das "Muspilli" ist ein althochdeutsches Gedicht aus dem 9. Jahrhundert, von dem uns nur ein Fragment auf dem Rand eines lateinischen Codex erhalten ist. Die Form dieses Gedichts geht auf den althochdeutschen Stabreimvers zurück: Das Gedicht ist nicht durch Reime am Zeilenende gebunden, sondern durch gleiche Konsonanten am Anfang betonter Silben: So inprinnant die perga, poum ni kistentit. Das "Muspilli" gibt christliche Vorstellungen vom Geschehen nach dem Tode wieder, die teils auf der Apokalypse, teils auf Apokryphen und auf antiken Schriften beruhen. Nach dem Tod des Menschen kämpfen Engel und Teufel um die Seele des Verstorbenen, dann folgt der Kampf des Elias mit dem Antichristen und das Jüngste Gericht. Durch den Kampf des Propheten mit dem Antichrist wird der Weltenbrand ausgelöst, dessen Schrecken im hier verwendeten Ausschnitt (V. 51-57) dargestellt sind. Die schlimmste Zerstörung, der größte Schrecken wird mit dem Wort "Muspilli" beschrieben, dessen Herkunft nicht ganz klar ist. Es könnte - ebenso wie der verwendete Stabreimvers - aus der germanischen Tradition stammen; es kommt auch im Altsächsischen und Altnordischen für den größten Schrecken vor. Das Wort könnte aber auch eine christliche Neubildung sein, die in den drei Sprachen benutzt wurde. Beachtlich ist, wie der Dichter unter Verwendung einer germanischen Dichtform die Mahnung zu einem christlichen Leben formuliert, wobei er in kräftiger Sprache alle Schrecken des Weltendes heraufbeschwört. |
Muspilli, V 51-57 Übersetzung: |
Beim Konzil von Trient 1562 wurden die verschiedenen Meßversionen wieder vereinheitlicht, so daß heute das "Da pacem" als Gebet, nicht mehr als Bestandteil der Liturgie bekannt ist. Als inbrünstiger Ruf nach Frieden ist es in den letzten Jahrhunderten mehrfach vertont worden. Da pacem Übersetzung: Dr. Martin Schubert Eine von drei in den letzten Jahrzehnten entstandenen Vertonungen des "Muspilli" stammt von Dietmar Bonnen. In seiner 1994 entstandenen Komposition kontrastiert er die oben übersetzt zitierten, von Frauenstimmen vorgetragenen althochdeutschen Verse mit dem von Männerstimmen gleichzeitig ausgeführten lateinischen Friedensgebet Da pacem, Domine, in diebus nostris. Dieses Gebet stammt, wie das "Muspilli", aus dem 9. Jahrhundert und war ursprünglich Bestandteil der Liturgie zwischen "Vater unser" und "Agnus Dei". Indem Bonnen beide Texte gleichzeitig erklingen läßt, stellt er den Schrecken der Weltuntergangsvision die liturgisch geprägte Bitte um Frieden gegenüber. Apokalypse und erbetenes Friedensreich werden derart eng aufeinander bezogen, daß sie sich gegenseitig interpretieren und bedingen. Der Weltenbrand wird vor den Horizont des Friedens gestellt, der Ausblick auf den Frieden erfolgt vor dem Hintergrund der Apokalypse. |
Die gesamte Komposition beruht in allen ihren Schichten - dem Frauenchor (Muspilli), dem Männerchor (Da pacem) und der Orgelbegleitung - auf demselben Tonmaterial: der Sechstonreihe as - b - c - des - es -f, die in der Art einer dodekaphonischen Reihentechnik verarbeitet wird. Die Intervalle entsprechen in ihrer horizontalen Ausrichtung einem Hexachord aus zweimal zwei Ganztonschritten mit in der Mitte liegendem Halbtonschritt. Mit Hilfe derartiger Hexachorde systematisierten die mittelalterlichen Musiktheoretiker (erstmals Guido von Arezzo) den gesamten damals gebräuchlichen Tonbereich. Die Verwendung eines mittelalterlichen Hexachords als Grundreihe ist in Bonnens Vertonung gewiß kein Zufall. Es verweist - bei gleichzeitig moderner Kompositionstechnik - zurück in die Zeit der Entstehung sowohl des "Muspilli" wie des Friedensgebetes. Unterstützt wird dieser zeitliche Rückbezug durch den vertikalen Zusammenklang. Der häufige Gebrauch von Quart- und Quintintervallen erinnert an die mittelalterliche Organa-Praxis und vermittelt einen - freilich an moderner Tonsprache gebrochenen - archaischen Klangeindruck. Dr. Raymond Dittrich |
||